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15.03.2021

Materialien im Wettlauf zur nachhaltigen Mobilität

Veranstaltungsreihe „Materials for the European Green Deal“ geht weiter: Innovative Materialtechnologie aus Hessen ebnen den Weg für die Dekarbonisierung des Verkehrs

Veranstaltungsreihe Materials for the European Green Deal
© HTAI (Design von bartels+drescher)

Der Verkehrssektor ist wie ein Geisterfahrer im Klimaschutz in die falsche Richtung unterwegs: Seine Treibhausgasemissionen sind – im Gegensatz zu den anderen Sektoren - seit 1990 nicht gesunken und die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Verkehrsaufkommen ist bislang nicht gelungen. Für eine klimaverträgliche Mobilität braucht es daher neue Ideen, überzeugende Konzepte – und vor allem innovative Materialien, beispielsweise für leistungsstarke Batterien, grünen Wasserstoff und dekarbonisierte Kraftstoffe.

Die Veranstaltungsreihe „Materials for the European Green Deal“, die das Technologieland Hessen und das Materials Valley e.V. gemeinsam ausrichten, widmete sich am 2. März genau diesem wichtigen Thema: Wo braucht es neue Werkstoffe für klimafreundliche Antriebe? Wie kann das Recycling endlicher Rohstoffe sichergestellt werden? An welchen Materialinnovationen arbeiten Forschung und Wirtschaft in Hessen? „Vor allem die Vernetzung von Forschung und Industrie ist wichtig, um zu passenden Lösungen zu kommen“, betonte Mitorganisator Andreas Brumby, Leiter der Umicore Technical Academy und Mitglied des Vorstandes Materials Valley e.V. 

Batterien machen Fortschritte 
An Ideen und Aktivitäten mangelt es nicht. Renommierte hessische Forschungsinstitutionen und Unternehmen arbeiten beispielsweise intensiv daran, Energiedichte, Leistung und Lebensdauer von Batterien für die Elektromobilität zu steigern. Der weltweit tätige Materialtechnologie- und Recyclingkonzern Umicore forscht vor allem an innovativen Kathodenmaterialien. „Wir produzieren jährlich Kathodenmaterial für mehr als eine Million Elektrofahrzeuge“, erklärt Applied Technology Manager Paul Spurk. Eines der Entwicklungsziele bei Umicore ist es, den Anteil an kritischem Kobalt deutlich zu reduzieren und den Nickelgehalt zu erhöhen. „Die immer bessere Chemie in den Zellen müssen wir für die Praxisanwendung ausreizen“, sagt Felix von Borck, Mitbegründer der Akasol AG mit Sitz in Darmstadt. Das Unternehmen ist führender deutscher Hersteller von Hochleistungs-Lithiumionen-Batteriemodulen für Busse, Bahnen und Nutzfahrzeuge. Der Schlüssel zum Erfolg, so von Borck, sei vor allem die gezielte Anpassung der Module an die Anforderungen, die die jeweilige Anwendung im Feld stelle. 

Eine logische Weiterentwicklung der bisherigen Lithiumionen-Batterien sind Festkörperbatterien (SSB). Sie kommen ohne brennbare flüssige Elektrolyte aus und versprechen gegenüber heute gängigen Akkus höhere Energiedichten, mehr Sicherheit und kürzere Ladezeiten. An der Universität Gießen leitet Prof. Jürgen Janek den Kompetenzcluster „FestBatt“ des Bundesforschungsministeriums, in dem derzeit unterschiedliche Werkstoffe für SSB untersucht werden, darunter Polymere, Oxide und Thiophosphate. „Keiner der Typen für sich ist perfekt, eventuell wird sich ein Hybrid durchsetzen“, erläutert Janek. 

Für Leistung und Lebensdauer von Batterien sind die Vorgänge an Grenzschichten ganz entscheidend. Hier kommt die Expertise von Evonik ins Spiel. Das Spezialchemie-Unternehmen mit einem Entwicklungsstandort in Hanau hat viel Erfahrung mit mikro- und nanostrukturierten Coatings. Durch Trockenbeschichtung von Kathodenaktivmaterialien können beispielsweise unerwünschte Grenzflächenprozesse zwischen Kathode und Elektrolyt unterdrückt werden. Die Lebensdauer der Zelle steigt deutlich. Ein spezielles Additiv von Evonik kann beim Befüllen gezielt Separator und Elektrolyt vernetzen. Die damit erzielte Haftung erhöht ebenfalls die Performance der Zellen.  

Brennstoffzelle schürt Erwartungen 
Aber wird dekarbonisierte Mobilität in Zukunft überhaupt von Batterien angetrieben? Oder doch eher durch Wasserstoff und Brennstoffzelle (BZ)? Viele gehen davon aus, dass sich im Pkw-Massenmarkt die Batterie durchsetzen wird, bei Lkw, Bussen und Bahnen dagegen eher die BZ. Treibstoff für die BZ-Technologie ist Wasserstoff, der – regenerativ erzeugt – nicht nur als klimaverträgliche Energiequelle, sondern auch als Ausgangsmaterial für „grüne“ synthetische Kraftstoffe, beispielsweise für den Flugverkehr, dienen kann. 

Herstellung, Speicherung und Nutzung des Gases benötigen allerdings leistungsfähige Materialien. An der TU Darmstadt arbeiten Prof. Jan-Philipp Hofmann und Prof. Bastian Etzold an Testmethoden, die realitätsnah die chemischen Prozesse und Aktivitäten von Elektrokatalysatoren für Elektrolyse und Brennstoffzelle untersuchen und optimieren. Das Unternehmen Heraeus aus Hanau hat Katalysatoren für die PEM-Elektrolyse entwickelt, die deutlich weniger Iridium als herkömmliche Produkte enthalten. Die Kostenersparnis mache die Produktion von regenerativ erzeugtem Wasserstoff in industriellem Maßstab erschwinglich. „Darüber hinaus reicht das weltweite Angebot an Iridium schlicht nicht aus, um mit herkömmlichen Katalysatoren die Wasserstoff-Ziele der EU-Kommission zu erreichen“, betont Christian Gebauer, Leiter Hydrogen Systems bei Heraeus Precious Metals.  Heraeus kooperiert u.a. mit der Hanauer Greenerity GmbH, die katalysatorbeschichtete Membranen und Membran-Elektrodeneinheiten (MEA) für Brennstoffzellen herstellt. Greenerity baut derzeit ein neues Werk in Alzenau, um seine Produktionskapazitäten deutlich zu steigern.  

Innovationen auf die Straße gebracht  
Neue Entwicklungen sind nur dann nachhaltig, wenn sie sich auf Straße oder Schiene auch bewähren. Daher kommt es auf enge Vernetzung von Forschung und Anwendung an. „Wir brauchen bis 2030 vor allem Innovationen für den Güterverkehr“, sagt Prof. Rüdiger Heim, Leiter im Projektbereich Systemzuverlässigkeit des Fraunhofer LBF in Darmstadt. Sein Team beschäftigt sich mit kleineren Nutzfahrzeugen, die vor alle im rasant wachsenden Verteilerverkehr eingesetzt werden und deren Treibhausgasemissionen besonders hoch sind. Abgestimmt auf deren Fahrprofil hat das LBF einen Antriebsstrang aus kompaktem Generator und einem kleinen Lithiumionen-Akku, der die Bremsenergie speichert, entwickelt.  

Im öffentlichen Nahverkehr ist der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) einer der Vorreiter beim Einsatz von dekarbonisierten Antrieben. So will der RMV ab dem kommenden Jahr 27 Brennstoffzellenzüge im Regionalverkehr einsetzen, auch erste Brennstoffzellenbusse sind bestellt. Zudem wird der Verbund gemeinsam mit anderen Gebietskörperschaften noch in diesem Jahr 150 emissionsfreie Elektroautos auf die Straße bringen, die als „on demand“-Zubringer zum ÖPNV dienen. „Bremsend wirkt weniger die Entwicklung alternativer Antriebe als vielmehr die recht langsame Elektrifizierung der Schienennetze“, betont Kai Daubertshäuser, Leiter des Infrastrukturmanagements beim RMV.  

Recycling mitdenken!  
Das Bild vom nachhaltigen Verkehrssektor wird erst vollständig durch geschlossene Stoffkreisläufe und hochwertiges Recycling. Bei Umicore werden beispielsweise Metalle aus gebrauchten Lithium-Ionen-Batterien durch pyrometallurgische und hydrometallurgische Prozesse zurückgewonnen. Heraeus Precious Metals recycelt einen Großteil des Iridiums für seine Katalysatoren aus Altprodukten. Auch beim Fraunhofer IWKS in Hanau denkt man in Kreisläufen: „Wenn wir von Beginn an wissen, welche Materialien mit welchen Eigenschaften wo verbaut sind, können wir das Recycling deutlich erleichtern und in großem Maßstab Primärrohstoffe durch Rezyklate ersetzen“, ist Prof. Anke Weidenkaff überzeugt. Ihr Team entwickelt dafür sogenannte digitale Zwillinge: Materialien werden schon bei der Entwicklung analysiert und detailliert beschrieben, recyclinghemmende Inhaltstoffe und Prozessschritte können frühzeitig erkannt und eliminiert werden.  

Nächster Termin: Dekarbonisierung der Industrie 
Von Nanobeschichtungen bis zum ÖPNV mit Brennstoffzellen, vom iridiumarmen Katalysator bis zum Recycling von Altbatterien - „die Veranstaltung hat gezeigt, dass in Hessen breite Expertise für eine Dekarbonisierung des Verkehrs konzentriert ist," resümierte Brumby nach der Veranstaltung. Auch beim nächsten Termin der Veranstaltungsreihe – zur Dekarbonisierung der Industrie am 22.4. (jetzt hier anmelden) – werden Referenten aus Wissenschaft und Wirtschaft zeigen, wohin dank innovativer Materialien die Reise geht. 

Text: Dipl.-Ing. Christa Friedl

Diese Veranstaltungsreihe ist ein gemeinsames Projekt von Materials Valley e.V. und Technologieland Hessen. Weitere Informationen zur Reihe und die Anmeldemöglichkeiten finden Sie hier: 

Weitere Infos und Anmeldung

Materials Valley e.V. ist ein seit 2002 bestehender Verein unter Beteiligung von Industrieunternehmen, Hochschulen, Forschungsinstituten, Institutionen der Länder zur Förderung von Technologie und Wirtschaft und Privatpersonen.

Informieren, beraten, vernetzen: Das Technologieland Hessen unterstützt Unternehmen dabei, zukunftsweisende Innovationen zu entwickeln. Umgesetzt wird das Technologieland Hessen von der Hessen Trade & Invest GmbH im Auftrag des Hessischen Wirtschaftsministeriums.

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