Giga ist beautiful
Die Welt dürstet nach Wasserstoff als Energieträger und Rohstoff der Zukunft. Die dafür notwendigen Elektrolyseanlagen vom Fließband gibt es bisher allerdings nicht. Wie sieht eine großtechnische Wasserstoffherstellung aus? Durch welche Materialien steigen Lebensdauer der Anlagen und Kosteneffizienz? Einblicke in Materialinnovationen zur Wasserstoffherstellung gaben Forschung und Unternehmen am 18. Oktober beim Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe „Materials to RePowerEU“ von Materials Valley und dem Technologieland Hessen.
Die Frage, wie man an Wasserstoff (H2)kommt, ist seit etwa 200 Jahren beantwortet: durch elektrochemische Spaltung von Wasser. Doch bis heute werden Elektrolyseure größtenteils als Einzelstücke mit viel Handarbeit gefertigt. Zudem erzeugt die Dampfreformierung als bisher einziges großtechnisches Verfahren zur H2-Erzeugung pro Tonne Wasserstoff etwa zehn Tonnen CO2. Beides ist also alles andere als Grundlage für eine leistungsfähige und klimaneutrale Wasserstoffwirtschaft.
Weltweit werden laut einem Nullemissionsszenario der Internationalen Energieagentur bis 2030 etwa 600 bis 800 Gigawatt (GW) installierte Elektrolyseleistung für die Herstellung von Wasserstoff benötigt. Allein für die Industrie in Deutschland schätzt die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften den Bedarf im Jahr 2030 auf mindestens 20 GW, installiert werden bis dahin maximal aber nur 7,6 GW. Weltweit ist die Lücke noch größer: Derzeit sind global erst Elektrolyseure mit insgesamt 1 GW installiert.
In Zukunft gilt: Es muss schon „Giga“ sein!
Im Leitprojekt H2Giga stellen sich etwa 120 Hersteller, Zulieferer und Forschungseinrichtungen – davon 13 aus Hessen - in insgesamt 27 einzelnen Verbundprojekten genau dieser Herausforderung: Wie gelingt die vollautomatisierte Produktion von effizienten, langlebigen, robusten, skalierbaren und kostengünstigen Elektrolyseuren im Gigawatt-Maßstab?
H2Giga umfasst neben der langen Liste an technischen Herausforderungen auch Fragen zur Standardisierung, Anlagengenehmigung und Fortbildung. Das Programm läuft bis 2025 und wird vom Bundesforschungsministerium mit 450 Millionen Euro gefördert. „H2Giga wird die Community einen Riesenschritt nach vorne bringen“, ist Isabel Kundler, zentrale Ansprechpartnerin für das Programm bei der DECHEMA in Frankfurt, überzeugt.
PEM-Elektrolyse wird erschwinglich
Als bisher gängige Verfahren gelten die PEM- und die alkalische Wasserelektrolyse. PEM-Anlagen werden der Marktforschung zufolge im Jahr 2030 etwa 40 Prozent des global benötigten Wasserstoffs liefern. Allerdings ist der damit erzeugte Wasserstoff viel zu teuer. Einen großen Einfluss auf die Kosten haben die notwendigen Katalysatoren. Hier setzen Hanauer Unternehmen wie Heraeus Precious Metals und die Greenerity GmbH an. Beide versprechen sich viel von Katalysatoren, die mit deutlich weniger Iridium auskommen, einem sehr korrosionsbeständigen, aber seltenen und teuren Edelmetall. „Für die Wasserstoffherstellung stehen bis 2030 global etwa 12 Tonnen Iridium zur Verfügung“, sagt Philipp Walter, Globaler Leiter Geschäftsentwicklung bei Heraeus Precious Metals. Mit heutiger PEM-Technologie aber liege der Bedarf mehr als doppelt so hoch. Die neuen Iridium-armen Katalysatoren von Heraeus können den Verbrauch auf etwa sieben Tonnen und die Kosten der Katalysatoren um 75 Prozent reduzieren.
Greenerity gelang es, die Beladung der Katalysatoren in den sogenannten Membran-Elektrodeneinheiten (MEA) um etwa den Faktor sieben auf unter 50 Kilogramm Iridium pro GW zu senken und zugleich die Zellspannung und damit die Leistung der MEA zu verbessern. Produktentwickler Jan Byrknes sieht noch viel Arbeit beim Upscaling. „Vor allem die Dauerstabilität der MEA ist eine Herausforderung.“ Insbesondere fehlen laut Byrknes Verfahren zur Belastungsschnellprüfung.
Auf die wachsende Bedeutung der PEM-Technologie baut auch das Unternehmen H-Tec Systems GmbH. „Wir möchten mit unseren Elektrolyseuren weltweit ein Prozent des menschengemachten CO2-Austoßes verhindern“, konstatiert Chief Technology Officer Marius Zasche. In Braak bei Hamburg will H-Tec im kommenden Jahr eine Giga-Factory in Betrieb nehmen, die fünf Mal leistungsfähigere Zelleneinheiten (Stacks) fertigt als heute und die Stacks vollautomatisiert stapelt und verpresst. Die Effizienz der Stacks wird durch dünnere Membranen und geringere Kontaktwiderstände erhöht. Die Kosten sinken unter anderem durch größere, elektrolytisch aktive Flächen in den Zellen, erläutert Zasche.
Alkalische Elektrolyse goes global
Neben PEM macht sich auch die alkalische Elektrolyse (AEL) für einen Großeinsatz bereit. AEL-Anlagen kommen ohne Edelmetallkatalysatoren aus, sind im Megawatt-Maßstab bereits erprobt und haben sich als recht robust erwiesen. Dennoch ist noch viel an Entwicklung notwendig, bis AEL-Anlagen vom Fließband laufen.
Eines der zentralen Projekte dafür ist „Prometh2eus“. Hier untersuchen mehrere Forschungsinstitute, wie sich Katalysator, Anodenmaterial und Elektrodendesign für einen industriellen Großeinsatz verändern müssen. Allerdings gilt: „Zwischen einer Entwicklung im Labor und großtechnischen Elektrolyseuren liegen Welten“, sagt Professor Jan Philipp Hofmann, Leiter des Fachgebiets Oberflächenforschung an der TU Darmstadt. Das gilt für Betriebsbedingungen und Reaktordesign genauso wie für die bauliche Integration von Stacks und die notwendigen Qualitätsprüfungen von Materialien und Bauteilen. Prometh2eus legt laut Hofmann daher großen Wert auf die enge Kopplung von Laborprojekten mit den Anforderungen einer industriellen Anodenfertigung.
Die AEL hat prozesstechnisch eine Menge mit der Gewinnung von Chlor und Natronlauge gemeinsam. Das ist eine Steilvorlage für den Konzern Thyssenkrupp, der weltweit Anlagen zur Chlor-Alkali-Elektrolyse vertreibt. Das neue Ziel der Wasserstofftochter Nucera GmbH: „Bei der alkalischen Wasserelektrolyse wollen wir Nummer eins werden“, sagt Prozessingenieur Christian Haas. Die AEL-Fertigungskapazität von derzeit einem Gigawatt jährlich will Thyssenkrupp Nucera bereits bis 2025 verfünffachen – auch dank eines neuen 20-MW Standardmoduls, das beispielsweise nach Australien geliefert werden soll.
Alternative Wege zum Wasserstoff
Zwischen den gängigen Elektrolyseverfahren PEM und AEL liegt ein weites Feld für neue Prozesse und bisher wenig erprobte Optionen. Der Spezialchemiekonzern Evonik und die Berliner Enapter AG arbeiten beispielsweise an der Variante mit Anionenaustauschmembran (AEM). „Damit koppeln wir die Effizienz und die relativ niedrigen Kosten der alkalischen Elektrolyse mit der dynamischen Betriebsweise von PEM-Anlagen“, sagt Enapter-Projektleiter Jan Tiemeyer.
Der AEM-Prozess spaltet Wasser unter leicht alkalischen Bedingungen, dadurch werden Iridium und andere Edelmetalle für Elektroden überflüssig. Evonik hat eine anionenleitende Membran im Angebot, die laut Entwicklungsleiter Artjom Maljusch deutlich dünner ist als herkömmliche PEM-Membranen und die die Zellspannung um acht Prozent reduziert. „Folglich sinkt der Stromverbrauch der Elektrolyse“, sagt Maljusch. Enapter will im nordrhein-westfälischen Saerbeck ab 2023 containergroße 1-MW-Module für die AEM-Elektrolyse in Serie fertigen.
Hitze hilft – das gilt auch für die Wasserspaltung. Die Hochtemperaturelektrolyse (HTE) kann durch die Einkopplung von Abwärme deutlich höhere elektrische Wirkungsgrade erreichen. Sie hat daher für die Anbindung an Industrieprozesse großes Potenzial. HTE arbeitet mit sauerstoffionen-leitenden keramischen Elektrolyten und liefert Wasserstoff aus Dampf oder einem Gemisch von Dampf und Kohlendioxid. „Der große Vorteil ist, dass die Hochtemperaturelektrolyse sowohl Wasserstoff als auch Synthesegas erzeugen kann“, betont Christian Geipel, Teamleiter Zellentwicklung bei der Dresdner Sunfire GmbH. Der derzeit weltweit erste industrielle Anwender ist die Salzgitter AG. Hier arbeitet seit 2019 ein Prototyp von Sunfire, der pro Stunde aus der Abwärme der Stahlproduktion 200 Normkubikmeter Wasserstoff erzeugt.
Erdgas und Abfall als Wasserstoffquelle?
Mit hohen Temperaturen lässt sich nicht nur Wasser, sondern auch organisches Material in Wasserstoff und andere Produkte spalten – ein Feld, auf dem derzeit mehrere Fraunhofer Institute forschen. „Gasifizierungsverfahren von fossilen Einsatzstoffen sind auf Biomasse und Abfälle adaptierbar“, sagt Jörg Kleeberg, Gruppenleiter Thermochemische Konversion am Fraunhofer IMWS. Das Fraunhofer IWKS untersucht, wie effektiv sich Kunststoffabfälle mit Hilfe von energiereichem Plasma in ihre chemischen Bestandteile zerlegen lassen. „Unsere Versuche mit Coronamasken und Einmalhandschuhen zeigen eine sehr kurze Reaktionszeit und dadurch hohe Durchsätze“, betont Gert Homm, Leiter der Abteilung Bioökonomie am IWKS. Für beide Ansätzen gilt: Die Herausforderung liegt vor allem darin, dass organische Einsatzstoffe hoch heterogen sind und die jeweils entstehende Produkte aufwändig analysiert werden müssen.
Erdgas dagegen ist ein homogener Stoff. Daher sieht beispielsweise die BASF im Methan eine gehaltvolle Wasserstoffquelle. „Die Methanpyrolyse benötigt 80 Prozent weniger grünen Strom als die Wasserelektrolyse und erzeugt deutlich weniger indirekte CO2-Emissionen“, resümiert Johannes Bode, Leiter Hochtemperaturreaktionstechnik. Seit 2019 betreibt die BASF eine Testanlage zur Methanpyrolyse, eine Pilotanlage ist in Planung.
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Simon Schneider
Projektleiter Materialtechnologien-
Materials Valley e.V.