Zurück in die Zukunft der Photosynthese
Wie sich die Photosynthese an das Auftreten von Sauerstoff anpassen konnte
Unser heutiges Leben beruht vollständig auf Photosynthese betreibenden Organismen wie Pflanzen und Algen, die CO2 einfangen und umwandeln. Das Herzstück dieses Prozesses ist ein Enzym namens Rubisco, das jährlich mehr als 400 Milliarden Tonnen CO2 bindet. Die heute lebenden Organismen produzieren erstaunliche Mengen davon: Das Gesamtgewicht von Rubisco auf unserem Planeten entspricht in etwa dem aller Menschen. Um diese dominante Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf zu erlangen, musste Rubisco sich fortlaufend an veränderte Umweltbedingungen anpassen.
Mit einer Kombination aus rechnerischen und synthetischen Ansätzen ist es einem Forscherteam des Max-Planck-Instituts in Marburg in Zusammenarbeit mit der Universität Singapur nun gelungen, Milliarden Jahre alte Enzyme im Labor nachzubauen und zu untersuchen. In diesem Prozess, den sie als "molekulare Paläontologie" bezeichnen, fanden die Forscher heraus, dass anstelle direkter Mutationen im aktiven Zentrum eine völlig neue Komponente die Photosynthese auf den steigenden Sauerstoffgehalt vorbereitet hat.
Urzeitliche Verwirrung des Enyzms Rubisco
Rubisco ist uralt und entstand im Ur-Stoffwechsel vor etwa vier Milliarden Jahren, noch bevor es auf der Erde Sauerstoff gab. Mit der Entwicklung der sauerstoffproduzierenden Photosynthese und dem damit verbundenen Anstieg des Sauerstoffs in der Atmosphäre begann Rubisco jedoch, auch eine Fehlreaktion zu katalysieren: das Enzym verwechselte O2 mit CO2 und produzierte Stoffwechselprodukte, die für die Zelle giftig sind.
Diese Substrat-Ungenauigkeit beeinträchtigt Rubisco bis heute, und sie vermindert die Effizienz der Photosynthese. Obwohl Rubisco-Varianten von Organismen in sauerstoffhaltigen Umgebungen im Laufe der Zeit immer spezifischer für CO2 wurden, konnte keines von ihnen die hinderliche Sauerstoff-Bindereaktion ganz abschaffen. Die molekularen Ursachen für die Verbesserung der CO2-Spezifität sind noch weitgehend unbekannt. Dabei sind sie von großem Interesse, wenn man darauf abzielt, die Effizienz der Photosynthese zu verbessern. Es ist auffällig, dass Rubisco-Formen, die eine erhöhte CO2-Spezifität aufweisen, eine neue Proteinkomponente mit unbekannter Funktion aufweisen. Man vermutet, dass diese Komponente an der Steigerung der Spezifität beteiligt ist. Doch das ist schwer zu ermitteln, da ihre Entstehung Milliarden Jahre zurückliegt.
Die Wiedererweckung uralter Proteine im Labor
Um dieses entscheidende Ereignis in der Evolution spezifischerer Rubisco-Varianten besser zu verstehen, hat eine Forschungskooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg und der Nanyang Technological University in Singapur einen statistischen Algorithmus angewandt. Mit ihm rekonstruierten die Forscher am Computer diejenigen Formen der Rubiscos, die vor Milliarden von Jahren existierten, bevor der Sauerstoffgehalt anstieg. Dem Team um Max-Planck-Forscher Prof. Dr. Tobias Erb und Dr. Georg Hochberg gelang es, die uralten Proteine im Labor nachzubauen und ihre Eigenschaften zu untersuchen.
Insbesondere interessierte die Wissenschaftler, ob und wie die neue Strukturkomponente von Rubisco mit der Evolution der höheren Spezifität in Zusammenhang steht. Die Antwort war überraschend, sagt Doktorand Luca Schulz: "Wir hatten erwartet, dass die neue Komponente den Sauerstoff irgendwie direkt aus dem katalytischen Zentrum von Rubisco ausschließt. Das tut sie aber nicht. Stattdessen scheint die neue Untereinheit als Modulator für die Evolution zu fungieren: Sie veränderte den Effekt nachfolgender Mutationen auf die katalytische Untereinheit von Rubisco, so dass zuvor unbedeutende Mutationen auf einmal einen großen Einfluss auf die Spezifität hatten. Es scheint also, dass das Vorhandensein der neuen Untereinheit das evolutionäre Potenzial von Rubisco veränderte."
Ein Enzym wird abhängig von seiner neuen Untereinheit
Diese Funktion als "evolutionärer Modulator" erklärt auch ein anderes Rätsel dieser Proteinkomponente: Alle modernen Rubiscos, die diese eingebaut haben, sind in ihrer Funktion vollständig von ihr abhängig, obwohl einfachere Formen von Rubisco auch ohne sie funktionieren. Der Modulationseffekt liefert den Grund: Als Rubisco an diese kleine Proteinkomponente gebunden war, konnte das Enzym Mutationen tolerieren, die alleine katastrophal gewesen wären. Sobald sich genügend solcher Mutationen angesammelt hatten, wurde Rubisco von der neuen Untereinheit abhängig.
Die Ergebnisse, die in der jüngsten Ausgabe von "Science" veröffentlicht wurden, geben damit Aufschluss über die bisher ungelöste Frage, warum Rubisco die neue Proteinkomponente seither beibehielt.
Max-Planck-Forschungsgruppenleiter Georg Hochberg erklärt: "Die Tatsache, dass dieser Zusammenhang bis jetzt nicht verstanden war, unterstreicht die Bedeutung der evolutionären Analyse für das Verständnis der Biochemie um uns herum. Die Entstehungsgeschichte von Biomolekülen wie Rubisco kann uns so viel darüber lehren, warum sie so sind, wie sie heute sind. Und es gibt immer noch so viele biochemische Phänomene, deren Entwicklungsgeschichte uns völlig unbekannt ist. Es ist also eine sehr aufregende Zeit für einen Evolutionsbiochemiker: Fast die gesamte molekulare Geschichte der Zelle wartet noch darauf, entdeckt zu werden.“
Wissenschaftliche Reisen in die Vergangenheit bringen Erkenntnisse für die Zukunft
Die Studie liefert aber auch wichtige Hinweise darauf, wie die Photosynthese verbessert werden kann, wie der Synthetische Biologe und Max-Planck-Direktor Tobias Erb betont: „Die Ergebnisse unserer Forschung haben gezeigt, dass die bisherigen Versuche, Rubisco zu verbessern, möglicherweise an der falschen Stelle ansetzten. Jahrelang konzentrierte sich die Forschung ausschließlich auf die Veränderung von Aminosäuren in Rubisco selbst. Unsere Arbeit deutet nun darauf hin, dass das Hinzufügen völlig neuer Proteinkomponenten wesentlich zielführender sein könnte und möglicherweise neue Wege in der Evolution eröffnet. Dies ist Neuland für das Enzym-Engineering, und wir sind gespannt, wohin es uns führen kann."