Best of HIK2022: der Kongress im Rückblick
Die Zukunft braucht Nerds – mit Leidenschaft für Innovation
Die Vorfreude auf den 6. Hessischen Innovationskongress, kurz HIK2022, war besonders groß. Denn nach zwei Jahren Online-Präsenz fand die Veranstaltung am 30. November 2022 endlich wieder live vor Ort statt. Das Motto: NE.RD. – Nachhaltig entwickeln. Revolutionär denken. Im RheinMain CongressCenter (RMCC) Wiesbaden trafen sich rund 800 Innovationsneugierige aus ganz Hessen, um zu erfahren, was sich in ihrem Ökosystem tut.
Start-ups sowie mittelständische und große Unternehmen hatten wieder Gelegenheit, sich auf dem Forum zu informieren und zu vernetzen, sich inspirieren und beraten zu lassen. Neben 24 Speakern auf der Hauptbühne präsentierten sich über 100 innovative Unternehmen und Institutionen in der Ausstellung und in vier Speakers´ Corners. Im Foyer boten 46 Coaches kostenfreie Beratung rund um das Thema Innovation. Und auch ein Playground mit Spiel- und Sportgeräten fehlte nicht.
Erstmals fanden im Rahmen des Kongresses eine Preisverleihung und eine Filmpremiere statt: Der Hessische Staatspreis Universelles Design prämierte innovative, inklusive Gestaltung, der Film „Schrittmacher für Gesundheit“ stellte Innovationen aus der hessischen Pharma- und Gesundheitsindustrie vor. Das Moderationsteam war diesmal zu dritt: Andrea Thilo führte auf der Bühne durch das Programm, Anna-Lena Kümpel machte Interviews im Publikum und in der Ausstellung, Lars Ruppel war für spontane Zwischenfragen und die Kongresspoesie zuständig.
Innovative Ideen: Antworten auf die Fragen der Zeit
Welche Art von Nerds mit dem Motto gemeint war, erklärte ein kurzer Film zu Beginn des Kongresses. Nicht etwa Sonderlinge, die inmitten von leeren Pizzakartons vor ihrem Computer sitzen. Sondern Menschen, die voller Leidenschaft und Intensität an ihren speziellen Interessen arbeiten – kreativ, intelligent und mutig. Die das Denken verändern und bahnbrechende Innovationen voranbringen. Und so mit revolutionären, nachhaltigen Ideen die Zukunft gestalten.
Darauf bezog sich in seinem Grußwort der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir: „Innovationen müssen Antworten auf die Fragen der Zeit geben“, sagte er. „Und hier sind Menschen, die nicht nur heutige Krisen stemmen wollen. Sie wollen mehr als das. Sie wollen Zukunft gestalten. Genau solche Leute brauchen wir in Hessen.“ Al-Wazir warb für den dringend notwendigen Wirtschaftswandel hin zu einer klimafreundlichen, ressourcenschonenden und sozial gewinnbringenden Wirtschaftsweise und gab den Startschuss für die neue Servicestelle WirtschaftsWandel Hessen auf www.servicestelle-wirtschaftswandel.de. „Mit dieser Servicestelle schaffen wir eine Anlaufstelle für hessische Unternehmen und ihre Fragen rund um ein nachhaltiges Wirtschaften.“
Revolutionär denken: mehr Sprunginnovationen wagen
In der ersten Keynote sprach Prof. Dr. Ben List, Chemie-Nobelpreisträger von 2021 und Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenstoffforschung in Mühlheim/Ruhr, über Grundlagenforschung. Sein Gebiet ist die Katalyse: die Beschleunigung chemischer Reaktionen durch einen Stoff, der selbst nicht verbraucht wird, den Katalysator. Auf diese Weise wird ein Drittel der heutigen Alltagsprodukte hergestellt, darunter Dünger, Antibiotika und Kunststoff. Das zeige, so List: Es lohne sich langfristig auch für die Industrie, in Grundlagenforschung zu investieren. Sein Ziel sei es, CO2 in C und O2 zu spalten, also in Kohlenstoff und Sauerstoff – und zwar mit UV-Licht als Katalysator. So würde das schädliche Treibhausgas aus der Luft zurückgeholt. Und der Kohlenstoff könnte erneut genutzt werden, diesmal umweltbewusst. Was heute noch utopisch klingen mag, hat definitiv das Zeug zur Sprunginnovation.
Perfekt also, dass im Anschluss Rafael Laguna de la Vera zu Wort kam, der Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND). Seine Definition des Begriffs: eine Innovation, die die Welt verändert und überall im Leben präsent ist, wie beispielsweise das Smartphone. Und die idealerweise das größtmögliche Glück für die größtmögliche Menge an Menschen schafft. Deshalb sucht SPRIND Nerds, die für ein Thema brennen, und schreibt Wettbewerbe zu den großen Fragen der Zeit aus. Da geht es dann um einen Breitband-Antiviral-Wirkstoff oder die Abscheidung und Speicherung von CO2. Über die Anträge wird unbürokratisch und schnell entschieden, und bei den Projekten ist auch Scheitern erlaubt. Laguna de la Vera ist sicher: „Ohne Risiken gibt es nichts grundlegend Neues.“
Darüber waren sich Al-Wazir, List und Laguna de la Vera auch im anschließenden Gespräch einig. In Deutschland müsse man einfach mehr wagen und die Fehlerkultur verbessern.
Das haben die Start-ups und Unternehmen bereits getan, die sich als „Hessens BEST“ für disruptive Innovationen auf der großen Bühne präsentierten: Magnotherm hat eine innovative Kühltechnologie auf magnetischer Basis entwickelt: umweltschonend, effizient und sicher. Focused Energy will mit Laser-Kernfusion große Mengen CO2-freier Energie erzeugen. Es wird zwar noch eine Weile dauern, bis das Verfahren in Serie gehen kann – aber dann will Focused Energy Kraftwerke bauen und betreiben. Wingcopter stellt strombetriebene Lieferdrohnen her, die Medikamente und andere lebenswichtige Güter in schwer zugängliche Gebiete transportieren. In Malawi werden so bereits 5.000 Menschen erreicht – weltweit sollen es fünf Millionen werden. Akasol produziert seit 2008 Batteriesysteme für Elektromobilität und ist vom Start-up zum Großunternehmen geworden: Seit der Übernahme durch den US-Autozulieferer BorgWarner im Jahr 2021 kommen Batterie- und Automobil-Know-how aus einer Hand.
Innovation voranbringen: Wie kommt Neues in die Welt?
Diese Frage beantwortete Unternehmensberater Stephan Friedrich von den Eichen mit zwei Worten: Open Strategy. Der Professor für Management- und Geschäftsmodellinnovationen erläuterte in seinem Vortrag, dass Unternehmensstrategien erst durch Einflüsse von außen – gerade auch fachfremde – zu innovativen Ergebnissen führen können. Heterogene Positionen bewusst einzusetzen sei zwar anstrengend, mache aber stark.
Frischen Wind von außen für Unternehmen bietet auch Co-Gründerin Janine Weirich mit der Recruiting-Plattform Xeem. Dort stellen Unternehmen Ideenwettbewerbe ein, an denen junge Menschen ab 16 Jahren teilnehmen können. So erhalten Talente die Chance auf Praxiserfahrung und Preisgeld, während die Unternehmen neue Impulse und Zugang zu Talenten bekommen. Xeem war als Projekt für eine Bachelorarbeit gedacht, doch Weirich konnte es dank des Förderprogramms „Hessen Ideen“ weiterverfolgen.
Nur ein Beispiel dafür, wie Wirtschaftsförderung Innovationen voranbringt. Das Thema erörterten Dr. Mandy Pastohr, Leiterin der Abteilung „Außenwirtschaft, Mittelstand, Berufliche Bildung und Technologische Innovation“ im Hessischen Wirtschaftsministerium, und Dr. Rainer Waldschmidt, Geschäftsführer der landeseigenen Wirtschaftsförderung Hessen Trade & Invest GmbH. Deren Ansatz: „Menschen zusammenbringen und ihnen die Freiheit geben, ihre Ideen umzusetzen. Wir wollen gerade kleine und mittlere Unternehmen unterstützen, damit sie sich um Innovationen kümmern können“. Dr. Pastohr ergänzte: „Kooperationen mit Start-ups können Innovationen hervorbringen. Und Start-ups sind gute Möglichkeiten zur Investition – auch für den Mittelstand.“
Prof. Dr. Kristina Sinemus, Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, will unter anderem mit dem Förderprogramm „Distr@l“ dazu beitragen, dass innovative, digitale Ideen in Hessen schneller umgesetzt werden können und Unternehmen gerade auch in ländlichen Regionen verbleiben. „Bereits heute ist die hohe Innovationskraft in unserem Bundesland eine wesentliche Basis für die Digitalisierung und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Gerade Start-ups spielen eine wichtige Rolle, um die Dynamik des digitalen Fortschritts in Wertschöpfung, Beschäftigung und Wohlstand umzumünzen und international wettbewerbsfähig zu bleiben. Daher ermöglichen wir Start-ups in der Wachstumsphase mit einem Entwicklungsprojekt im digitalen Kontext einen signifikanten Innovationssprung“, sagte Sinemus.
Nachhaltig entwickeln: in Kreisläufen denken
„Hessens BEST“ in der Kategorie Start-ups haben eines gemeinsam: nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen. Green Elephant stellt Laborausrüstung aus pflanzenbasierten Kunststoffen her. So lassen sich die CO2-Emissionen der Verbrauchsmaterialien um bis zu 90 % reduzieren. Auch Biovox geht das Problem an, dass in Kliniken und Laboren viel Abfall durch Einwegmaterial entsteht. Das Start-up entwickelt Folien, Blisterpackungen und Spritzen aus biobasiertem, biologisch abbaubarem Kunststoff, der die hohen Anforderungen im medizinischen Bereich erfüllt.
Ganz andere Zielgruppen hat Revoltech im Blick: die Automobil-, die Möbel- und die Schuhbranche. Sie sollen von LOVR überzeugt werden, eine Lederalternative aus Hanf zu nutzen. Basis für das Material sind Erntereste aus heimischer Landwirtschaft. Auch bei Plastship geht es um Kreislaufwirtschaft. Das Unternehmen hat ein Online-Netzwerk für Kunststoff-Recycling aufgebaut. Die Plattform informiert über Verwendungsoptionen von Rezyklaten und bietet Zugang zu zertifizierten Materialien. In der Gesprächsrunde waren alle einer Meinung: Recycling und Kreislaufwirtschaft sind die Zukunft.
Gründungen wie diese sind es, die mit ihren nachhaltigen Ideen Hessen zum führenden Standort für Green Start-ups machen können. Dr. Philipp Nimmermann, Staatssekretär im Hessischen Wirtschaftsministerium, betonte: „In Hessens Start-up-Strategie ist Wachstum ein entscheidender Faktor. Damit meinen wir aber nicht nur den finanziellen Wert, sondern auch ökologische und soziale Nachhaltigkeit.“ Es gebe bereits viele innovative Technologien – und Start-ups seien wichtig für deren Umsetzung in neuen Geschäftsmodellen: „Sie sind schnell, ziehen andere mit und krempeln ganze Sparten mit neuen Ideen um.“
Doch nicht nur Start-ups setzen in Hessen auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. So organisiert die RIGK GmbH, die sich im Panel „Hessens BEST: Mittelstand“ präsentierte, schon seit über 30 Jahren die Rücknahme von Verpackungen und Kunststoffen aus Industrie und Landwirtschaft. Ein Geschäftsmodell ganz im Sinne von Peter Kurth, dem Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft BDE. In seinem Vortrag forderte er mehr Kreislaufwirtschaft: „Das ist nicht nur Umweltpolitik, sondern auch Wirtschaftspolitik. Denn so können wir Energie sparen und ein attraktiver Industriestandort bleiben.“ Kurth fügte hinzu, dass der Kreislauf immer als System gedacht werden müsse – vom Produktdesign über sorgfältige Getrennt-Sammlung bis zur Verwertung.
Zukunftsfähige Geschäftsmodelle: digital und nachhaltig
Was macht ein Geschäftsmodell nachhaltig erfolgreich? Zwei Beispiele mittelständischer Unternehmen, die zu „Hessens BEST“ in dieser Kategorie zählen: Bei 3defacto ist es Erfahrung gepaart mit Experimentierfreude. Hier entwickeln interdisziplinäre Teams Maschinen und Anlagen, die es so noch nicht gibt – ganz nach den individuellen Wünschen der Kundschaft. Auf diese Weise entsteht dann eine vollautomatische Traktorreifen-Montageanlage. Die Isabellenhütte steht mit 500 Jahren Tradition und 200 Jahren in Familienbesitz für eine Nachhaltigkeit, die ohne Innovationen nicht denkbar wäre. Heute produziert sie unter anderem Widerstände für Elektromobilität und Messtechnik für Ladesäulen.
Zwei Vorträge beschäftigten sich damit, wie Unternehmen nachhaltiger und innovativer werden können. Laut Moritz Gomm, Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsexperte beim Innovationsdienstleister Zühlke, könne man neue, nachhaltig herzustellende Produkte entwickeln, aber auch Produkte zur Verbesserung der Nachhaltigkeit, zum Beispiel zur CO2-Abscheidung und -Speicherung. Die Umweltwissenschaftlerin Rebecca Freitag, frühere UN-Jugenddelegierte, stellte zehn Kriterien vor, wie Unternehmen ihr Geschäftsmodell nachhaltig aufstellen können. Dabei müsse man Nachhaltigkeit nicht als Idee, sondern als fortlaufenden Prozess begreifen.
Welche Kompetenzen in der Arbeitswelt wichtig sein werden, war das Thema der Abschluss-Keynote von Prof. Dr. Yasmin M. Weiß, Expertin für Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit. Sie stellte fest, dass Teamfähigkeit auch für die Zusammenarbeit mit Künstlicher Intelligenz gelten müsse. Zudem komme es in einer immer dynamischeren Welt auf Wandlungs- und Lernfähigkeit an, auf lebenslange Neugier und Experimentierfreude. Klar sei, dass sowohl digitale als auch soziale Kompetenzen vorhanden sein müssten. Prof. Weiß´ Fazit: „Je digitaler die Zukunft wird, umso menschlicher müssen wir werden.“
Finale: Lars Ruppel
Die poetische Zusammenfassung von Lars Ruppel setzte den charmanten Schlusspunkt für den HIK2022. Mit einem Ausschnitt aus seinem Gedicht soll er auch hier das letzte Wort haben:
Wenn man Menschen trifft, die trifft man sonst nirgendwo
Die sitzen sonst ständig im Labor oder so
Im Büro, in der Uni, im Ministerium
In Groß-Umstadt oder irgendwo um Groß-Umstadt herum
In den Garagen, dort wo Legenden beginnen
In den Köpfen, dort wo sie an Größe gewinnen
In den Herzen, dort wo sie die Antriebskraft kriegen
Und im Team, um gemeinsam über Zweifel zu siegen
Und mit den Augen stets eine bessere Zukunft im Blick
Mit positiven Gedanken,
ja, dann ist HIK
Der HIK2022 als Recap im Video