Seltene Erden ständig gesucht | Nachbericht zur „Beyond Elements“-Veranstaltung am 29. Mai 2024
Wenn etwas selten ist, ist es rar, unbekannt, oft auch geheimnisvoll und meist sehr teuer. So gesehen, tragen Seltene Erden einen falschen Namen. Die 17 Elemente der Gruppe sind nicht selten, sondern kommen häufiger vor als Zink oder Blei. Selbst kostspielig sind die Rohstoffe nicht unbedingt. „Seit 2023 sind die Preise deutlich gefallen“, sagt Jan Giese, Vertriebsmitarbeiter beim Metallhändler Tradium GmbH in Frankfurt. „Ein Großteil der chinesischen Hersteller bietet derzeit Preise, die unter den eigenen Produktionskosten liegen.“
Seltene Erden sind nicht selten, aber besonders: In der Erdkruste sind sie zwar weit verteilt, die Konzentrationen sind aber meist so niedrig, dass sich ein Abbau nicht rechnet. Die Elemente sind zudem keine Einzelgänger, sondern liegen in komplexen Mischungen vor und ähneln sich chemisch stark – beides führt dazu, dass die Separierung von Einzelstoffen energetisch sehr aufwändig und technisch kompliziert ist.
Raw Materials Act will Eigenversorgung anstoßen
Wer beispielsweise Yttrium für Hochleistungskeramik, Lanthan für optische Gläser, Gadolinium und Cer für Brennstoffzellen, Neodym, Praseodym und Dysprosium für Permanentmagnete in Elektromotoren braucht, ist meist auf China angewiesen. Hier werden die Rohstoffe nicht nur abgebaut, sondern auch raffiniert und für die jeweiligen technischen Anwendungen prozessiert. Klar ist : Was China kann, können Deutschland oder die EU nicht innerhalb weniger Jahre imitieren. Die Erschließung von Lagerstätten, die aufwändige Prozessierung der Erze, die Separierung und Aufreinigung einzelner Elemente formen eine Wertschöpfungskette, deren Aufbau unter Einhaltung europäischer Gesetze und der Prämisse von Nachhaltigkeit viele Jahre dauert.
Trotzdem: Ohne ambitionierte Ziele kein Fortschritt - diesem Motto folgt der Critical Raw Materials Act (CRMA) der EU, der im Mai in Kraft getreten ist. Dieser definiert zum einen, was kritische und strategische Rohstoffe sind, zum anderen gibt er Ziele zu deren Gewinnung vor. So will die EU laut CRMA bis 2030 mindestens zehn Prozent ihres Verbrauchs an strategischen Rohstoffen selbst abbauen und mindestens 40 Prozent ihres Bedarfs selbst verarbeiten. 25 Prozent des Verbrauchs sollen Rezyklate europäischer Recyclingunternehmen decken. Nicht zuletzt darf laut CRMA ab 2030 ein einzelner Staat nicht mehr als 65 Prozent eines Kritischen Rohstoffs in die EU liefern.
Invest im öffentlichen Interesse
Das sind für Selten-Erdmetalle sehr ehrgeizige, womöglich auch utopische Benchmarks, aber: „Wir brauchen in der EU sowohl eigene Produktion als auch leistungsstarke Recyclingkapazitäten, sonst werden wir mit der Technologiewende scheitern“, konstatierte auf der Veranstaltung Dr. Roland Gauß, Senior Advisor bei der Innovationsgemeinschaft EIT RawMaterials. Laut Schätzungen des EIT sind bis 2030 Investitionen von etwa zwei Milliarden Euro notwendig, um 20 Prozent des Bedarfs an Selten-Erdmetallen in der EU zu gewinnen, zu verarbeiten und zu recyceln. Rund die Hälfte davon machen Abbau und Separierung der Erze aus. Bis Ende des Jahres will ein neuer Ausschuss, das Critical Raw Materials Board, eine erste Liste mit strategischen Projekten vorlegen. Darauf sollen Vorhaben privater Investoren gelistet sein, die nach Ansicht des Board von öffentlichem Interesse sind und daher Anspruch auf schnellere Planungs-, Entwicklungs- und Baugenehmigungen haben.
Erste Schritte auf dem Recyclingpfad
Wenn der Druck groß ist und die Zeit drängt, helfen Ausweichbewegungen. Eine davon ist besonders naheliegend und im Prinzip für Deutschland nichts Neues: die Rückgewinnung von Rohstoffen aus Altprodukten. Seltene Erden könnten beispielsweise durch Recycling von Permanentmagneten aus Fahrzeugmotoren und Windkraftanlagen, aus Lautsprechern und IT-Geräten separiert, aufgearbeitet und erneut genutzt werden. Die Vorteile sprechen für sich: „Recycling spart etwa 80 Prozent des CO2 ein, ermöglicht eigene, verlässliche Preisstrukturen und eine stabilisierte Versorgung der Kunden“, resümiert Dr. David Bender, Co-Head beim Magnetrecyclingunternehmen Heraeus Remloy in Hanau.
Erste Schritte sind gemacht. Heraeus Remloy hat im Mai in Bitterfeld-Wolfen eine Recyclinganlage für Neodym-Eisen-Bor-Magnete in Betrieb genommen. Diese starken Dauermagnete sind beispielsweise in Windkraftanlagen, Festplatten, Werkzeug und Motoren verbaut. In der Anlage sollen jährlich bis zu 600 Tonnen Altmagnete zu Pulver für neue Magnete verarbeitet werden. „Entscheidend für den Erfolg ist, dass die Qualität des gewonnenen Pulvers so gut sein muss wie Neumaterial“, betont Bender. Auch die Robert Bosch GmbH setzt bei der Herstellung von Dauermagneten für Elektromotoren auf Rezyklate. „Wir kaufen fast ausschließlich recycelte Selten-Erdmetalle für die Magnete ein“, sagt Dr. Dmitry Zakharov, Spezialist für Magnettechnologie bei Bosch. Die Rezyklate stammen allerdings nicht von europäischen Verwertern oder aus Altprodukten, sondern laut Zakharov von chinesischen Firmen, die dafür vor allem saubere Produktionsabfälle aus der Magnetherstellung verarbeiten.
Vor dem Recycling steht die Demontage. Forscher am Zentrum für Demontage und Recycling für Elektromobilität am Fraunhofer Institut IWKS untersuchten in einem vom Hessischen Wissenschaftsministerium geförderten Projekt, wie leicht oder wie schwer sich Komponenten aus Elektrofahrzeugen automatisiert entfernen und zerlegen lassen, darunter auch Elektromotoren aus Autos und Pedelecs. Die Aufbereitung von Gebrauchtmagneten geschieht in einer Testanlage durch Wasserstoffversprödung. Dabei wurde deutlich: „Magnete in den Motoren sind häufig geklebt, festgeklemmt oder mit Korrosionsschutz beschichtet, das kann das Rezyklat negativ beeinflussen“, sagt Konrad Opelt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IWKS. Laut Opelt würde Recycling deutlich einfacher, wenn schon beim Design neuer Produkte auf eine leichte Demontage der Magnete geachtet würde.
Je kleiner die Geräte, desto schwieriger die Verwertung
Das EIT schätzt, dass der Aufbau von europäischen Recyclingstrukturen für Seltene Erden etwa 200 Millionen Euro kostet. Dabei sind Kosten allein gar nicht die größte Hürde. Vielmehr stellen sich grundsätzliche Fragen, die vor Jahren auch beim Aufbau von Verwertungssystemen für Elektroschrott- oder Plastikabfällen erst mal geklärt werden mussten: Wie lassen sich die Altproduktströme so bündeln, dass einem Verwertungsunternehmen zuverlässig ausreichend Material zur Verfügung steht? Wie wird die Verwertung – inklusive Sammlung und Vorsortierung – organisiert und von wem wird sie finanziert? Welche Anreize sind notwendig, damit Hersteller, Händler und Endkunden ausrangierte Maschinen und Geräte in die Recyclingkette einschleusen?
Vor allem aber: Wie wird sichergestellt, dass sich eine Verwertung rechnet? „Große Magnete aus Windkraftanlagen sind leicht und effizient zu demontieren und liefern viel Recyclingmaterial“, sagt David Bender von Heraeus Remloy. Ganz anders aber ist das Bild bei winzigen Magneten aus Lautsprechern, Mobiltelefonen oder Sitz- und Wischermotoren im Auto. Wie teuer und wie wirtschaftlich Sammlung, Sortierung, Demontage und Elementanalytik solcher Kleinmagnete ist, ist bislang offen. Und nicht immer ist Recycling von Seltenen Erden sinnvoll. „Cer und Lanthan aus Abgaskatalysatoren zurückzugewinnen, lohnt nicht“, betont Dr. Raoul Klingmann, Global Technology Director bei der Umicore AG in Hanau. Cer beispielsweise sei in großen Mengen zu günstigen Preisen auf dem Markt erhältlich, kein Recyclingverfahren könne da konkurrieren.
Fruchtbares Feld für die Forschung
Mit Ausweichbewegungen beschäftigt sich auch die Forschung. Lassen sich besonders kritische oder besonders teure Seltene Erden durch chemisch ähnliche Vertreter ersetzen? Hierzu forscht beispielsweise das Leistungszentrum-Wasserstoff Hessen, eine Einrichtung der Fraunhofer-Institute IWKS und LBF. Brennstoff- und Elektrolysezellen enthalten oft Seltene Erden, bei denen die Lieferkette besonders kritisch ist. „Yttrium in neuartigen Festoxid-Elektrolysezellen beispielsweise könnte durch weniger kritisches Cer oder Lanthan ersetzt werden“, sagt Dr. Till Frömling vom IWKS.
Im EU-Projekt „Sicherung Kritischer Seltener Erden in Europa“ (SecREEts) gingen Forscher der Frage nach, ob sich ein Selten-Erdkonzentrat aus europäischen Apatitquellen herstellen lässt. Apatit ist ein natürlich vorkommendes Mineraliengemisch, aus dem vor allem Phosphor für Düngemittel gewonnen wird. Im Rahmen von SecREEts wurde ein Trennverfahren entwickelt, das aus Apatit die Magnetmetalle Neodym und Praseodym als Mischoxid isoliert. Das norwegische Unternehmen REEtec betreibt seit 2019 eine Pilotanlage und will mit diesem Verfahren künftig mehrere hundert Tonnen Mischoxid pro Jahr herstellen. „Daraus können etwa 1.200 Tonnen Dauermagnete erzeugt werden“, schätzt Dr. Dominik Ohmer, Entwicklungsingenieur bei der Vakuumschmelze GmbH in Hanau.
Magnettechnologie zieht alle an
Magnete ziehen derzeit viele Forscher an. Sie sind wegen der umfassenden Elektrifizierung von Mobilität, Energieerzeugung, Produktions- und Gebäudetechnik eines der stärksten Wachstumsfelder für Seltene Erden. Legt man die Ziele der Bundesregierung für den Ausbau von Elektromobilität und Windkraft zugrunde, werden allein für diese beiden Bereiche bis 2030 etwa 25.000 Tonnen Dauermagnete für die notwendigen Antriebe gebraucht.
An der TU Darmstadt arbeitet ein Sonderforschungsbereich (SFB) gemeinsam mit Partnern an Magnetmaterialien, die besonders effizient und langlebig sind und die zudem ohne oder mit weniger kritischen Selten-Erdmetallen auskommen. „Lange Jahre war das Interesse an solchen Fragen nicht besonders hoch, in letzter Zeit aber kommt Schwung in die Sache“, sagt Dr. Oliver Gutfleisch, Professor für Funktionswerkstoffe an der TU und Sprecher des SFB. Die Wissenschaftler untersuchen die strukturellen, magnetischen und elektronischen Wechselwirkungen innerhalb magnetischer Materialien, um zu verstehen, was auf atomarer Ebene Effektivität und Wirkungsgrad von Dauermagneten bestimmt und wie sie verbessert werden können.
Dr.-Ing. Yves Burkhardt, Professor im Fachgebiet Elektrische Antriebssysteme der TU Darmstadt sieht viel Potenzial bei innovativen Antrieben. „Beispielsweise lässt sich die Masse an Magneten, die in Motoren verbaut sind, besser nutzen.“ Bei Elektrofahrzeugen können sogenannte Axialflussmaschinen Drehmoment und Leistungsdichte des Antriebsstrangs erhöhen. Für Windkraftgeneratoren werden an der TU Antriebe, bei denen die Magnete durch supraleitende Spulen ersetzt werden, erforscht. „Dabei verdoppelt sich die Generatorleistung und der Bedarf an Seltenen Erden sinkt um über 99 Prozent“, sagt Burkhardt. Allerdings sind die Konzepte bislang noch in einem frühen Stadium. „Nachweise für Machbarkeit, Serientauglichkeit und Wirtschaftlichkeit stehen aus“, betont Burkhardt. „Da muss noch viel erforscht und entwickelt werden.“
Die Veranstaltungsreihe „Beyond Elements – von limitierten Ressourcen und Materialinnovationen“ ist bereits die dritte Online-Reihe von Materials Valley e.V. und Technologieland Hessen. Für ihre neue Reihe bekommen die beiden Veranstalter Unterstützung des EIT Raw Materials.
Mit ihrer Reihe „Beyond Elements“ richten die Veranstalter den Blick auf eine der wichtigsten Fragen der Zeit: Wie sichern sich EU und Deutschland die Versorgung mit strategisch wichtigen Rohstoffen und stärken ihre Innovationskraft für kommende Technologien? Die fünfte Veranstaltung der Reihe am 04. Juli widmet sich dem Thema Leichtbau und Effizienz.
Anmeldung zur Veranstaltung am 04. Juli
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