Molekularer Kleber als Wirkstoff
Das Team von „MoProX“ entwickelt „Klebstoffe“, die schädliche Proteine zerstören können
„Molekulare Kleber sind die Zukunft“, ist Felix Hausch überzeugt. Der Professor und Leiter der Wirkstoffforschung der TU Darmstadt will zusammen mit Postdoc Christian Meyners und Doktorand Johannes Dreizler diese Idee weiterentwickeln und ausgründen. Der Name des geplanten Start-ups, MoProX, beschreibt die Erfindung: molecular proximity, nahe Moleküle. Biochemiker Meyners zeigt dies an einem Modell: Ein Molekül, im Modell grün, stellt den menschlichen Immunbaustein dar. Darin kann sich ein zweites Molekül, grau dargestellt, passgenau verankern. Es stammt ursprünglich aus Bakterien der Gattung Streptomyces und unterdrückt das Immunsystem – eigentlich wohl, um sich vor der Körperabwehr des Menschen „wegzuducken“. Diese Eigenschaft wird schon seit den 1990er Jahren genutzt, um bei Organverpflanzungen das Immunsystem zu unterdrücken. Nur zusammen können diese beiden Moleküle wirken; der bakterielle Baustein dient dabei als „Kleber“ zwischen dem Hilfsmolekül des menschlichen Immunsystems und einem Zielprotein, im Modell blau.
Warum das so zukunftsweisend ist, erklärt Hausch: „Die meisten Proteine, über 80 Prozent, sind für Wirkstoffe nicht zugänglich – sie haben einfach keinen Angriffspunkt“. Denn dafür ist eine „Tasche“ nötig, in der sich ein Wirkstoff passgenau verankern kann, wie Schlüssel und Schloss. Die meisten Zielstrukturen sind aber zu „glatt“ und bieten keinen Halt. Erst durch die Verbindung – die molekulare Nähe – von Immunbaustein (grün) und Wirkstoff (grau) entsteht die Möglichkeit, gezielt bisher unzugängliche Proteine (blau) anzugreifen.
Der Kleber erlaubt, bisher unzugängliche Proteine anzugreifen
Als Angriffspunkte bieten sich beispielsweise Proteine an, die bei Krebserkrankungen eine Rolle spielen. „Unsere Kernkompetenz ist die Kombination des Immunbausteins mit dem verankerten Wirkstoff“, erklärt Hausch die „Erfindung“. Bereits vier Patente sind von der TU Darmstadt angemeldet oder von den Erfindern gehalten, um diese wissenschaftlichen Erkenntnisse abzusichern, die in der pharmazeutischen Industrie bereits auf großes Interesse stoßen.
Hausch, Meyners und – als dritter im Bunde – Chemiker Dreizler werden seit 2023 mit der GOBioinitial-Förderung des Bundes unterstützt. 500.000 Euro stehen ihnen in den nächsten zwei Jahren zu Verfügung, um das Potenzial ihrer Idee auf erste Anwendungen zu testen. „Wir haben das Modellsystem für die Technologie“, so Hausch, „nun müssen wir passende Anwendungen prüfen“. Ziele sind erstmal Proteine, die bei Tumoren eine Rolle spielen, aber mit klassischen Methoden nicht angreifbar sind. Grundsätzlich sei das System aber auch bei Autoimmunkrankheiten, Diabetes oder chronische Schmerzen anwendbar.
Anwendung gegen Tumoren und andere Krankheiten
Am Institut für strukturbasierte Wirkstoffforschung arbeiten auf engem Raum mehrere junge Wissenschaftler:innen, mit Kittel und Schutzbrille vertieft über der Laborbank oder am Computer vor großen Bildschirmen und dröhnenden Geräten im Rücken, in Diskussionen beim Mittagessen oder auf dem Gang beim Auspacken neuer Materialien. Drei Postdocs und ihre Mitarbeiter:innen screenen derzeit mögliche Modellproteine auf Zugänglichkeit. Zudem gilt es, den „Kleber“ an der Oberfläche so zu verändern, dass er optimal zwischen dem Immunbaustein und einem Tumorprotein vermittelt. Dafür sind aufwendige Messungen und Berechnungen der Molekülstrukturen bis ins kleinste Detail nötig. „Die Zeitspanne für solche Entwicklungen ist viel größer als bei vielen anderen Erfindungen“, so Meyners. Die Suche nach einem passenden Angriffsziel, die Optimierung des „Klebers“ und schließlich vor allem die Nachweise von Wirksamkeit und Sicherheit sind äußerst aufwendig, teuer und langwierig. Es geht um Jahrzehnte – und um Millionen- oder gar Milliardensummen.
„Die USA geben bei sowas viel mehr Gas – und viel leichter Geld“, gibt Hausch zu bedenken. Die Vergleichszahlen im Start-up-Bereich findet er ernüchternd: „Europa hängt hinterher, die USA sind da viel dynamischer“. Dort gebe es durchaus Konkurrenz, die ähnliches erforsche wie sein Team. Doch er ist überzeugt, dass das System von MoProX ein großes Potenzial hat: „Unser patentierter Wirkstoff-Anker und alles, was man damit machen kann, eröffnet riesige Möglichkeiten für bisher nicht mit Medikamenten zugängliche Moleküle“. Gezielt Zellen ganz präzise zu vernichten sei damit möglich und eröffne ungeahnte Behandlungsmöglichkeiten für unzählige Krankheiten.
Gründung nächstes Jahr
Meyners und Dreizler teilen diese Einschätzung: „Wir wollen eine Ausgründung wagen, sind gespannt und motiviert“. Nun gelte es, passende Molekülkombinationen zu entwickeln und damit hoffentlich in den nächsten zwei Jahren Investoren zu überzeugen. Dabei sei das Umfeld im Rhein-Main-Gebiet mit Universitäten, Kliniken und Pharmafirmen hilfreich. Eine wichtige Stütze und Kooperation ist das Proxydrugs-Konsortium, ein Zusammenschluss von forschenden Instituten und Pharmafirmen der Region. Zudem sei die Begleitung von HIGHEST bei Anträgen wertvoll und unerlässlich. MoProX gewann beispielsweise im TU-Ideenwettbewerb vergangenes Jahr den zweiten Platz. Dennoch: „Mir geht das alles zu langsam“, zeigt sich Hausch ungeduldig. Er forscht schon seit zwanzig Jahren an den Molekülklebern und ist von ihrer gezielten Wirksamkeit mehr denn je überzeugt. Die Ausgründung ist daher für ihn ein Ziel, um die Idee endlich in die Tat umzusetzen.