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20.11.2024

Das Ende der Ewigkeit? | Nachbericht zur „Beyond Elements“-Veranstaltung am 06. November 2024

Oft ist es wenigen Chemikalien zu verdanken, dass Produkte im Alltag smart und Industrieprozesse effizient sind. Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, kurz PFAS, gehören zu diesen Multitalenten. Die „Ewigkeitschemikalien“ aber gelten als gesundheitsschädlich und sollen in der EU beschränkt werden. Was tun? Industrie und Forschung präsentierten am 6. November vielversprechende Alternativen bei „Beyond Elements“ von Materials Valley e.V., EIT RawMaterials und dem Technologieland Hessen.

Sie haben Namen, die sich nur Chemiker merken und sind doch in so vielen Alltagsprodukten enthalten, dass jeder damit in Berührung kommt: poly- und perfluorierte Alkylsubstanzen, kurz PFAS. Die fluorhaltigen Chemikalien werden für wasserdichte Kleidung verwendet, für beschichtete Pfannen, für Kosmetik und Verpackungen, sie sind in Schmierstoffen, Papier, Leder, in Pestiziden und Feuerlöschmitteln enthalten. Der Grund für ihre weite Verbreitung: PFAS zeigen wichtige, technische Eigenschaften gleichzeitig – für dieses Eigenschaftsprofil müsste man normalerweise unterschiedliche Substanzen oder Materialien kombinieren. PFAS sind wasser-, schmutz- und fettabweisend, sie sind mechanisch, chemisch und thermisch extrem stabil, sie sind gute elektrische und thermische Isolatoren, erleichtern das Handling von Flüssigkeiten in industriellen Prozessen und bilden als Tenside stabile Kontaktflächen zwischen eigentlich nicht mischbaren Substanzen.

Ihr Multitalent verdanken sie der Entstehung in der chemischen Retorte und vor allem der Verbindung von Kohlenstoff und Fluor, die als stärkste Bindung der organischen Chemie gilt. Die große Beliebtheit hat allerdings auch eine Kehrseite. PFAS finden sich nicht nur in vielen Alltagsprodukten und Industrieprozessen, sondern mittlerweile als Spurenstoffe nahezu überall - in Luft, Trinkwasser, Wald- und Ackerböden, in Lebensmitteln und im menschlichen Blut. Die Chemikalien werden in der Umwelt nicht abgebaut und reichern sich an, sie werden daher auch als Ewigkeitschemikalien bezeichnet. Aus Gesundheitssicht ist das bedenklich. „Es gibt Hinweise darauf, dass PFAS das Immunsystem schädigen und das Krebsrisiko erhöhen können. Manche wirken schon in Bruchteilen von Nanogramm immuntoxisch “, sagt Dr. Annette Bitsch, Toxikologin am Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM.

EU plant Beschränkungen der ganzen Gruppe

Bisher gibt es EU-weit nur für wenige, einzelne PFAS-Vertreter wie Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroktansäure (PFOA) gesetzliche Einschränkungen. Diese Stoffe haben Anwender häufig durch andere, nicht beschränkte PFAS-Vertreter ersetzt. Mittel- und langfristig aber sollen die Ewigkeitschemikalien als ganze Substanzklasse in der EU beschränkt, teilweise auch verboten werden. Derzeit wird das Verbotsdossier aus dem Jahr 2023 in zwei Ausschüssen der Europäischen Chemikalienagentur beraten. In diese Beratungen fließen die über 5.600 Eingaben aus einer öffentlichen Konsultation im vergangenen Jahr ein.

Die Chemieindustrie kritisiert vor allem, dass der derzeitige Beschränkungsvorschlag weder zwischen den völlig unterschiedlichen PFAS-Vertretern noch zwischen den verschiedenen Anwendungen differenziert. Ein Beispiel dafür sind Fluorpolymere wie Teflon. „Eine Beschränkung von Fluorpolymeren würde viele moderne Produkte und Technologien unmöglich machen“, sagt Cedric Triquet, Global Business Strategy & Advocacy Director beim US-Chemieunternehmen Chemours. Membranen oder Dichtungen aus Fluorpolymeren sind seiner Meinung nach unverzichtbar für Elektrolyseure, für Brennstoffzellen, für PV-Anlagen und Speichertanks - und damit für die Energiewende. Im Juli haben Industrieverbände und über 500 Unternehmen einen Brief an den Bundeskanzler unterzeichnet, in dem sie ihn auffordern, sich für eine Änderung des EU-Verbotsdossiers einzusetzen, um Fluorpolymere von einer Beschränkung auszunehmen. Im Gegenzug erklärten die europäischen Hersteller von Fluorpolymeren in einer freiwilligen Selbstverpflichtung im September 2023, dass sie ihre PFAS-Emissionen, die bei der Polymerproduktion in Luft und Wasser gelangen, deutlich minimieren wollen.

Ausweichbewegungen zu neuer Chemie

Unklar ist, ob, wann und in welcher Form die EU zu einer Beschränkung der gesamten Stoffklasse kommt. Sicher aber werden Stoffbeschränkungen oder Stoffverbote für manche Unternehmen zum Problem. Wie groß das Problem ist, untersucht das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF. Das Verbundprojekt PFASub hat beispielhaft fünf Anwenderprofile aus Medizintechnik und Maschinenbau analysiert: Wie können in spezifischen Anwendungen PFAS-haltige Werkstoffe substituiert werden? Welche der vielen Eigenschaften ist primär für den Anwender und können alternative Materialien oder Materialkombinationen eine ähnliche Performance bieten?

Ergebnis: „Substitute für einzelne Anforderungen gibt es durchaus, aber keine, die alle technischen Eigenschaften in sich vereinen“, sagt Dr. Christian Beinert, Abteilungsleiter Kunststoffverarbeitung und Bauteilauslegung am LBF. Beinert formuliert die wichtigste Prämisse für Alternativen: „Ob es einen Ersatzstoffe für PFAS gibt, ist immer eine Fall-zu-Fall-Entscheidung.“ Anwender müssen in aller Regel Abstriche an den Ersatzstoff machen. Eine Suche ist dann am ehesten erfolgreich, wenn sie sich auf die wichtigsten Eigenschaften für den spezifischen Einsatz konzentriert.

Brennstoffzellen und Elektrolyseure ohne PFAS

Schon mehrere Jahre Erfahrung mit der Suche nach Substituten hat die Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V. in Freiburg. Hier arbeitet eine Gruppe seit 2018 an PFAS-freien Membranelektrodeneinheiten, kurz MEA. Diese Einheiten sind die Grundelemente in Brennstoffzellen und Elektrolyseuren und entscheiden über die Leistung des gesamten Systems.

Vielversprechende Ersatz-Stoffe für PFAS-freie Membranen in MEA sind sulfonierte Polyetherketone für Brennstoffzellen und sulfonierte Polyphenylene für Elektrolyseure. „Beide Alternativen sind bei hohen Temperaturen ausreichend stabil, allerdings reichen Leitfähigkeit und Gasdurchlässigkeit noch nicht an die Werte von PFAS-Membranen heran,“ sagt Dr. Severin Vierrath, Bereichsleiter bei Hahn-Schickard. Daher testen die Freiburger chemische Modifikationen der Polymere oder dünnere Membranen, um elektrische Leitfähigkeit und Langzeitstabilität zu verbessern. Vierrath ist zudem auf der Suche nach Entwicklungspartnern: „Wenn sich große Unternehmen beteiligen, könnte alles schneller gehen.“

Obwohl Fluorpolymere als Multitalente unschlagbar scheinen, stoßen auch sie an Grenzen. „Die Anforderungen an die Leistung, Lebensdauer und Effizienz von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren wird deutlich wachsen“, sagt Dr. Matthias Breitwieser, Technischer Geschäftsführer der ionysis GmbH. Herkömmliche Elektroden- und Membranmaterialien können diese Anforderungen womöglich nicht mehr erfüllen. Der nächste technologische Sprung könnte eine Chance für PFAS-freie Alternativen sein. Ionysis entwickelt daher fluorfreie Polymere für Membranen mit verbesserter Gasdurchlässigkeit und höherer Effizienz. „Die Fortschritte in der Vergangenheit sind ermutigend“, sagt Breitwieser. MEA, bei der Anode und Membran fluorfrei sind, gibt es bereits. PFAS-freie Membranen für die PEM-Elektrolyse haben im Labor eine Betriebsdauer von über 1.000 Stunden erreicht.

Alternativen: Technisch machbar – wirtschaftlich tragbar?

Auch die Firma Polymaterials aus Kaufbeuren sucht im Auftrag einzelner Anwender aus der Industrie schon länger nach PFAS-freien Ersatzstoffen für Fluorpolymere. Die Erfahrung von Dr. Gerhard Maier, dem Leiter der Technischen Entwicklung bei Polymaterials: „Es ist tiefes polymerchemisches Verständnis notwendig, um Fluorpolymere anwendungsspezifisch ersetzen zu können.“ Um den Ionentransport innerhalb der Membranen zu verstehen und zu optimieren, haben Maier und sein Team die Ionenkanäle mit alternativen Kunststoffen nachgebildet und ihr Material mechanisch und chemisch so lange verändert, bis die Eigenschaften dem Fluorpolymer nahekamen. „Man wird in vielen Anwendungen Ersatz finden,“ prognostiziert Maier, „aber die Frage ist, ob das Geschäftsmodell für eine bestimmte Anwendung die zusätzlichen Kosten und den hohen Zeitaufwand für die Entwicklung trägt.“

Das Land Hessen möchte es genau wissen und hat die Hochschule Fresenius in Idstein beauftragt, die Situation auszuleuchten: Wie groß ist die Bedeutung von PFAS für die hessische Wirtschaft? Wie ist die existierende Rechtssetzung zu bewerten? Gibt es Praxisbeispiele aus Industrie und Forschung, die zeigen, wie Anwender auf Alternativen umsteigen können? „Die Herausforderung dabei ist, dass es oft an Daten mangelt, sobald man auf eine konkrete Anwenderebene und auf einzelne PFAS fokussiert“, sagt Prof. Dr. Stephan Wagner, Leiter des Institute für Analytical Research (IFAR) an der Hochschule Fresenius. Daher führt sein Team seit Oktober Umfragen und Interviews mit hessischen Unternehmen durch, die PFAS-haltige Materialien und Hilfsmittel nutzen. An der Umfrage interessierte Anwender können sich noch bis Ende November beim IFAR melden.

Ätzgase als Klimagefahr

Es gibt auch Anwendungsgebiete, in denen PFAS-freie Alternativen schwer vorstellbar sind. Davon ist Dr. Jürgen Willmann, Geschäftsführer des Kunststofftechnikunternehmens Kudernak GmbH in Rödermark überzeugt. „Dazu gehören vor allem Dichtungen in Chemie, Luftfahrt und Maschinenbau, die extrem chemisch und thermisch beständig und zugleich mechanisch hoch belastbar sein müssen.“ Um chemische Reaktoren, Wasserstoffpumpen oder Treibstofftanks in der Raketentechnik sicher abzudichten, führt an Fluorpolymeren, so Willmann, kein Weg vorbei.

Ähnlich abhängig vom Fluor ist die Elektronikindustrie. „Viele der Prozessschritte, die man in der Chipfertigung braucht, sind auf PFAS-haltige Substanzen angewiesen“, betont Prof. Dr. Peer Kirsch, Experte für organische Elektronik bei der Merck KGaA in Darmstadt. Beispielsweise werden die winzigen Strukturen der Chips mit fluorhaltigen Gasen in die Silizium-Oberfläche geätzt. Dabei können Reaktionsprodukte entstehen, die starke Treibhausgase sind und zur Erderwärmung beitragen, wenn sie in die Atmosphäre gelangen. Auch wenn es sich nur um eher kleine Mengen handelt, ist ihre Wirkung enorm. „Schätzungsweise zwei bis drei Prozent des globalen Treibhausgaspotenzials sind auf die Emissionen von Ätzgasen zurückzuführen“, so Kirsch. Das entspricht in etwa der Klimawirkung des gesamten globalen Luftverkehrs. Eine Möglichkeit, dieses Risiko zu mindern, ist Molekular Modelling: Indem in die Moleküle gezielte Sollbruchstellen – beispielsweise Doppelbindungen – eingebaut werden, können sie in der Atmosphäre leichter gespalten werden.

 

Mit ihrer Reihe „Beyond Elements“ richten die drei Veranstalter - Materials Valley e.V, EIT Raw Materials und Technologieland Hessen - den Blick auf eine der wichtigsten Fragen der Zeit: Wie sichern sich EU und Deutschland die Versorgung mit strategisch wichtigen Rohstoffen und stärken ihre Innovationskraft für kommende Technologien? Die nächste Veranstaltung der Reihe am 4. Dezember widmet sich dem Thema Batterien - Criticality and Mitigation.

Zur Anmeldung


Das Programm und eine Übersicht zur Veranstaltungsreihe finden Sie hier.

 

 

 

 

 

 

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