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19.07.2024

Innovationen light | Nachbericht zur „Beyond Elements“-Veranstaltung am 04. Juli 2024

Rohstoffe sparen, Klima schützen, Innovationen beschleunigen – Leichtbau verspricht viel Gutes. Auch in Zeiten knapper Fördermittel und umfassender Elektrifizierung bleibt Leichtbau ein Schwergewicht für Innovationen. Das wurde deutlich auf einer Veranstaltung der online-Reihe „Beyond Elements“, zu der Materials Valley e.V., EIT RawMaterials und das Technologieland Hessen am 4. Juli eingeladen hatten.

Im Grundsatz gilt: Alles, was fährt, fliegt oder sich bewegt, sollte so leicht wie möglich sein. Leichtbau spart Kosten, Energie und Rohstoffe, mindert Emissionen und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit wichtiger Branchen. Experten unterscheiden den Materialleichtbau (Gewichtseinsparungen über die Werkstoffauswahl), den konstruktiven Leichtbau (Gewichtseinsparungen über Bauteilauslegung und Komponentenauswahl), und den systemischen Leichtbau, der auf Funktionen fokussiert und komponentenübergreifend ist. Der Strategiebeirat der Initiative Leichtbau des Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministeriums zieht die Grenzen deutlich weiter: Leichtbau beginnt bei der Produktentwicklung mit Simulation und Digitalisierung und reicht bis zur Wiedergewinnung der Wertstoffe und ihrer erneuten Nutzung in der Fertigung. „In vielen dieser Bereiche ist Deutschland stark“, sagt Professor Tobias Melz, Vorstandvorsitzender von Materials Valley e.V. und Leiter des Fraunhofer Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF in Darmstadt.

Jedes Gramm zählt

Das heißt nicht, dass alle Fragen schon gelöst sind. Melz sieht unterschiedliche Herausforderungen: Bauteile und Fahrzeuge müssen künftig nachhaltiger werden, indem sie beispielsweise länger funktionieren. Das erfordert eine höhere Betriebsfestigkeit, Reparaturfähigkeit und die konsequente Wiedernutzung von Bauteilen. Außerdem wird Zirkularität in unterschiedlichen Facetten immer wichtiger: Verbundwerkstoffe sollten so aufgebaut sein, dass sich sowohl Faser als auch Matrix recyceln lassen. Bei Metallen liegt die Herausforderung darin, dass ein hochwertiges Recycling trotz Störstoffen und Verunreinigungen gelingen muss.

Vor allem aber: Leichtbau ist auch in einer elektrifizierten Welt, in der sich Energieerzeugung und Energieströme ändern, nicht weniger wichtig. „Rekuperation wird ihn nicht überflüssig machen“, stellt Melz klar. Schon wenige Kilogramm weniger Gewicht sparen beim E-Fahrzeug spürbar Antriebsenergie ein. „Gewichtsreduzierung ist daher eines der Hauptthemen in der Branche“, sagt auch Dr. Martin Hillebrecht, Senior Expert Innovations bei der EDAG, einem international tätigen Engineering-Dienstleister für die Automobilindustrie.

Abheben und Abfahren leicht gemacht

Klassisch ist der Wunsch nach Leichtgewichten vor allem im Luftverkehr. Die Leichtwerk AG beispielsweise entwickelt und baut bemannte und unbemannte kleine Luftfahrtzeuge. Dabei legt sie den Fokus auf nachwachsende Materialien mit guter Recyclingfähigkeit. Im Projekt HerMes hat das Braunschweiger Unternehmen gemeinsam mit Partnern einen 25 Kilogramm schweren Multicopter entwickelt, der zum großen Teil aus Holzfurnierlaminaten und naturfaserverstärkten Biokunststoffen besteht. „Werden Festigkeit und Steifigkeit auf die Dichte normiert, sind diese Werkstoffe bei kleinen Fluggeräten durchaus wie Metalle und konventionelle Faserverbunde einsetzbar“, betont Dr. Martin Pietrek, Vorstandmitglied bei Leichtwerk. Das gelingt auch dank der Fortschritte bei Fertigungs- und Verarbeitungsverfahren.

Treiber für gewichtssparende Konstruktionen ist seit langem der Automobilbau. Trotzdem gibt es auch hier noch ungenutztes Sparpotenzial. Beispielsweise bei Wasserstofftanks. „Insbesondere mit der Drucktankklasse V, bei der die Behälter nur noch aus Faserverbund bestehen, kann viel Gewicht eingespart werden“, betont Tobias Dickhut, Professor für Verbundwerkstoffe und technische Mechanik an der Universität der Bundeswehr München. Solche Leichtgewichte sind nicht einfach zu fertigen. Eine technische Herausforderung sind die unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten von Faser, Matrix und dem Metallflansch bei tiefen Temperaturen. Damit auch Typ-V-Tanks ausreichend dicht sind, muss die Barrierefunktion das Material integriert werden.

“Weniger ist mehr” gilt auch bei Bremsscheiben. Sie müssen einerseits ausreichend Masse besitzen, um die thermische Energie beim Bremsen aufzunehmen, andererseits sind sie ungefederte Massen, die die Fahrzeugachsen erschweren. „Jedes Gramm weniger bringt hier einen Effekt und mehr Reichweite,“ betont Dr. Jakob Glück, Leiter Entwicklung bei der Fritz Winter Eisengießerei GmbH & Co. KG in Stadtallendorf. Werden beispielsweise Stahl, Aluminium und Grauguss in mehrteiligen Bremsscheiben klug miteinander kombiniert, sinkt das Gewicht laut Glück um zehn bis 15 Prozent.

Auf dünn gegossen

Der Trend zum tonnenschweren SUV konterkariert den Wunsch nach Leichtbau. Bei diesen Fahrzeugen wird das Gewicht insbesondere durch viel Aluminium in der Karosserie gedrückt. Vor allem aber haben sich Bedeutung und Einsatz der Gusstechnologie im Fahrzeugbau stark verändert. Wurden früher in erster Linie massige Teile wie Motor und Getriebegehäuse gegossen, fertigt die Industrie heute relativ dünnwandige, große und komplexe Bauteile für Karosserie und Batteriesystem in einem Guss. Experten sprechen von Mega-Casting.

Die Vorteile von Großguss: geringere Zahl an Bauteilen im Fahrzeug, integrierte Funktionen, lastgerechtes Design, geringe Wandstärken, weniger Nacharbeit. „Mega-Casting könnte zum Gamechanger werden“, konstatiert Hillebrecht von der EDAG Engineering GmbH. Die Trennung zwischen Gießerei und Rohbau löst sich auf. Der Tesla beispielsweise bestehe durchgängig aus großen Aluminiumgussteilen mit voll integriertem Heckboden. Noch allerdings ist nicht belegt, ob Mega-Casting die hohen Qualitätsanforderungen der Hersteller immer sicherstellen kann. Auch fehlen laut Hillebrecht bisher Studien dazu, ob Großguss nicht deutlich mehr Energie verbraucht und eine schlechtere CO2-Bilanz hat als der herkömmliche Rohbau mit Montage.

Wenn es um Größe geht, sind leichte Kunststoffe oft das Material der Wahl. Beim sogenannten Screw Extrusion Additive Manufacturing (SEAM) entstehen nicht nur gewichtssparende, dünnwandige Strukturen; das Verfahren ist zudem zeitsparend. „Da die Technik eine Kunststoff-Spritzeinheit mit dem 3D-Druck kombiniert, wird die Fertigung erheblich beschleunigt“, sagt Christopher Schlegel, Projektleiter Forschung und Entwicklung beim Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz. Mit SEAM können Teile von mehreren Metern Länge herstellt werden, beispielsweise für Autos, Züge, für Werkzeuge und Spannvorrichtungen.

Wie betriebsfest ist mein Bauteil?

Leichtbau und Betriebsfestigkeit sind kein Widerspruch. Es kommt allerdings auf das Prüfkonzept an, das reale Belastungen im Betrieb möglichst realistisch abbilden muss. Das gilt insbesondere im Fahrzeugbau. „Wichtig für E-Fahrzeuge ist die Erprobung und Charakterisierung der Hochvoltbatterie, die im Fahrzeugboden als lasttragendes System verbaut wird“, betont Dr. Sébastien Chéreau, Entwicklungsingenieur bei der BMW AG. Gemeinsam mit dem Fraunhofer LBF hat BMW verschiedene KI-gestützte Prüfkonzepte erarbeitet. Die Charakterisierung des Speichers erleichtert zudem die Entscheidung, ob der Akku nach dem Verschrotten des Fahrzeugs weiter genutzt werden kann.

Das LBF beschäftigt sich zudem mit der Qualität von Schweißnähten, die bei dünnwandigen Strukturen entscheidend für Betriebsfestigkeit und Lebensdauer sind. Heute können Schweißnähte per Laserscan direkt nach der Fertigung automatisiert vermessen werden. „Maschinelles Lernen hilft uns bei der Auswertung, da sehr viele Daten verarbeitet werden müssen“, sagt Dr.-Ing. Jörg Baumgartner, Gruppenleiter Numerische Methoden und Bauteilbemessung am Fraunhofer LBF. Allerdings gibt es laut Baumgartner bislang nur wenige Daten zur Schweißnahtqualität, die für das Training der KI genutzt werden können. Im Rahmen des Verbundvorhabens Orka3D entwickeln LBF und Partner derzeit ein Konzept für ein automatisierbares Verfahren zur in-line Inspektion und individuellen Lebensdauerbewertung von Schweißverbindungen auf Basis von 3D-Scans.

Leichtbau – gewusst wie!

Additive Fertigung gilt als bewährtes Instrument für rohstoff- und gewichtssparende Strukturen. Dennoch sind die Hürden auf dem Weg in den Markt erstaunlich hoch. „Immer noch gibt es bei Konstrukteuren zu wenig Wissen über Leichtbaustrukturen, über Fertigungsbedingungen und Designanforderungen an gewichtssparende additive Fertigungsverfahren“, sagt Dr. Michael Krämer, Geschäftsführer Materialien am Zentrum für Konstruktionswerkstoffe der TU Darmstadt. Daher haben mehrere Institute der TU gemeinsam mit Industriepartnern im Projekt AddLight Praxishilfen erarbeitet: Mit Hilfe schematisierter Bewertungsverfahren, automatisierter Designoptimierung und Prüfverfahren kann ein Konstrukteur leichter entscheiden, ob und wie ein Teil topologisch optimiert oder durch gewichtssparende Gitterstrukturen ersetzt werden kann.

Leichtbau ist ökonomisch ein Schwergewicht. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat eine Studie beauftragt, die die Messbarkeit seiner wirtschaftlichen Bedeutung verbessern soll. Demnach tragen Leichtbautechnologien mit rund vier Prozent zur Bruttowertschöpfung in Deutschland bei. „Das entspricht über 120 Milliarden Euro und umfasst 1,3 Millionen Arbeitsplätze“, betonte bei der Veranstaltung Werner Loscheider, Referatsleiter im BMWK.

Mit mehr Leichtbau im Wettbewerb bestehen

Dennoch hat es Leichtbau nicht immer einfach. Mit Inkrafttreten des Bundeshaushalts 2024 ist das Technologietransfer-Programm Leichtbau (TTP) ausgelaufen, mit dem das BMWK marktnahe Forschungs- und Entwicklungsprojekte vor allem im Automobilsektor gefördert hat. Grund dafür ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 2023 die Aufstockung des Klima- und Transformationsfonds mit nicht genutzten Krediten aus der Corona-Pandemie für unzulässig erklärt hat. Aus eben diesen zusätzlichen Mitteln im Fond wurde das TTP finanziert. „Ich hoffe sehr, dass wir Alternativen finden werden, um gute Initiativen voranzubringen“, hofft Melz von Materials Valley e.V.

In der EU ist Leichtbau eher ein dickes Brett. 2020 haben zuständige Ministerien aus verschiedenen Mitgliedsstaaten auf Anregung Deutschlands das European Lightweighting Network gegründet. Das ELN will vor allem sichtbar machen, wie gewichtssparende Technologien die Ziele des Europäischen Green Deal unterstützen können. „Das Thema ist in der EU stark unterbelichtet“, sagt Loscheider. Seiner Meinung nach lohnt es aber, sich auch künftig dafür stark zu machen. „Leichtbau ist eine unverzichtbare Strategie, um im Wettbewerb mit den USA und Asien zu bestehen“.

 

Mit ihrer Reihe „Beyond Elements“ richten die drei Veranstalter - Materials Valley e.V, EIT Raw Materials und Technologieland Hessen - den Blick auf eine der wichtigsten Fragen der Zeit: Wie sichern sich EU und Deutschland die Versorgung mit strategisch wichtigen Rohstoffen und stärken ihre Innovationskraft für kommende Technologien?

In ganz besondere Tiefen führt Beyond Elements am 21. August: Bei dem Besuch der Grube Fortuna in Solms erfahren wir mehr über die Geschichte des Bergwerks und den Abbau von Eisenerz.

Anmeldung zur Exkursion am 21. August

Die sechste Veranstaltung der Reihe am 11. September widmet sich dem Thema Edelmetalle. 

Weitere Informationen zur Veranstaltungreihe Beyond Elements

 

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