Mechanisierung der Arbeit, zunehmende Automatisierung der Herstellung und heute die Digitalisierung unserer Wirtschaft. Beim Blick auf die Entwicklungen im Laufe der Zeit, besonders im Bereich der Produktion, fällt auf, dass sich Unternehmen schon immer neuen Herausforderungen stellen mussten und sie erfolgreich gemeistert haben, vor 150 Jahren wie im 21. Jahrhundert. Nur, dass sich der Fortschritt heute nicht durch Dampfmaschinen präsentiert, sondern in Form von Bits und Bytes.
Nächstes Level der Wertschöpfung
Wirtschaft 4.0 ist der nächste Schritt der Industriellen Revolution und folgt ihren Vorläufern. Diese stellten zunächst die Erfindung der Dampfmaschine dar, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals die Produktion in großen Stückzahlen ermöglichte. Der Massenproduktion wurde im weiteren Verlauf durch die Elektrifizierung der Arbeit und die Änderung der Arbeitsorganisation ab Ende des 19. Jahrhunderts der Weg gebahnt – mit der Fließbandarbeit als bekanntestem Beispiel. In der dritten Industriellen Revolution gegen Mitte des 20. Jahrhunderts kam Automatisierungstechnik immer stärker zum Einsatz. Dabei wurde Informationstechnik erstmals abseits der Produktion von Waren genutzt, so dass auch betriebliche Abläufe weiter optimiert und beschleunigt werden konnten. Die Digitalisierung von Produktions- und Unternehmensprozessen stellt die konsequente Fortsetzung dieser Entwicklung dar, und zwar auf Basis von Daten und Informationen.
Daten als neue Währung
Mit der Digitalisierung werden Daten dafür genutzt, starre Wertschöpfungsketten, die als geordnete Reihe von Tätigkeiten entlang der Fertigung betrachtet werden können, in sogenannte Wertschöpfungsnetzwerke zu transferieren. Hierbei arbeiten unterschiedliche Wertschöpfungspartner erfolgreich zusammen, indem allen die gleichen Daten der einzelnen Produktionsstufen zugänglich gemacht werden – und die Stufen der Herstellung eines Produktes verzahnt ablaufen. Dadurch wird die vernetzte, gemeinschaftliche Wertschöpfung und die Flexibilität von Prozessen gesteigert, die Produktionskapazität erhöht und sogar die Etablierung neuer Geschäftsmodelle ermöglicht, zum Beispiel durch digitale Dienstleistungen. So bieten sich Unternehmen, die Wirtschaft 4.0 als Chance begreifen, neue Umsatzpotenziale und eine gesteigerte Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs.
Hybride Wertschöpfung fördert Digitalisierung
Der hessische Mittelstand zeichnet sich schon heute durch hybride Wertschöpfung aus. Das heißt, der Anteil an Unternehmen, die zugleich Umsätze durch produzierte Waren und einer industrienahen Dienstleistung generieren, ist hier bereits besonders ausgeprägt – und genau dies gilt als positiver Nährboden für Wirtschaft 4.0. Die Voraussetzung dafür, um die neuen Chancen der Digitalisierung nutzen zu können, ist das konsequente Erheben von Daten, die – neben der Steigerung von Effizienz und dem Einsparen von Ressourcen wie Material und Energie – auch zur Einführung neuer Angebote genutzt werden können.
Neue Geschäftsmodelle für den Markt der Zukunft
Ein Hersteller, der es versteht, seine erhobenen Daten über sein Kerngeschäft hinaus zu nutzen, hat die große Chance, über die Erweiterung seines Geschäftsmodells zusätzliche Einnahmen zu generieren. Dazu gehören beispielsweise:
- Digitale Produktkonfigurationen
- Simulationsfähige Modelle der Produkte
- Optimierung von Produktionsparametern bei der Kundschaft im Betrieb
- Sicherstellung der Verfügbarkeiten oder des Betriebs der Anlagen und Maschinen
Sogar eine völlig branchenfremde Nutzung von Daten ist möglich. Zum Beispiel kann die wetterabhängige Einstellung der Scheibenwischerstärke im Auto dafür genutzt werden, die Wetterdaten von Wetterdiensten zu validieren.
Vom Herstellungsbetrieb zum Dienstleistungsbetrieb
Ein produzierendes Unternehmen von Fräsmaschinen kann in Folge einer mehrstufigen Transformation zu einem Anbietenden digitalgestützter Dienstleistungen werden. Wichtig für diesen Schritt ist aber die technische und organisatorische Weiterentwicklung des Betriebs und der Belegschaft. Mögliche Services sind:
- Automatische Lieferung von Fräswerkzeugen je nach Nutzungsintensität bei der Kundschaft
- Entwicklung und Vertrieb von Programmen zum autonomen Fräsen (CNC) auf Basis Künstlicher Intelligenz
- Onlineüberwachung von Fräsprozessen bei der Kundschaft
- Vermietung von Fräsmaschinen inkl. Wartung
Als Dienstleistender bietet das Unternehmen für Produzierende und für Betreibende von Maschinen Unterstützungsleistungen an. Zum Beispiel stellt es der jeweiligen Kundschaft Softwarelösungen zur Verfügung, die er für das Energiemanagement oder die Überwachung im Betrieb nutzen kann. Die Daten, die dabei erfasst werden, können dafür genutzt werden, frühzeitig Schäden zu erkennen oder rechtzeitig Instandhaltungsmaßnahmen zu planen und zu beauftragen.
Software und Produkte als Service
Neben den Möglichkeiten des Dienstleistungsangebotes gibt es aber auch offene Clouddienste oder Produkte as a Service bzw. Software as a Service (PaaS/SaaS). Gerade PaaS/SaaS zählen zu den Wirtschaft 4.0-Trends der vergangenen Jahre. Dabei werden Produkte, aber auch Software, als Dienstleistungen angeboten, die die Kundschaft nutzen kann, ohne Eigentümerin oder Eigentümer zu sein. Beim Beispiel des Fräsmaschinenherstellenden könnte das die Maschine selbst sein, oder die CNC-Software. Vorteil: Leistungen wie Software-Updates oder Wartungen werden somit zum laufenden Leistungsumfang des Unternehmens und die Kundschaft profitiert von der Bereitstellung von Produkt oder Software, ohne das Betriebsrisiko zu tragen und mit Instandhaltungskosten kalkulieren zu müssen.
Plattformlösungen und Netzwerke
Eine weitere enorme Chance stellen Plattformlösungen für geschäftliche Beziehungen dar. Hierbei lässt sich grundsätzlich zwischen zwei unterschiedlichen Arten dieser virtuellen Marktplätze unterscheiden. Es kann sich dabei um Transaktionsplattformen handeln, die Unternehmen zusammenbringen, etwa um Bezahlvorgänge digital abzuwickeln. Eine weitere Art stellen IoT-Plattformen (Internet of Things) dar. Diese fördern den unternehmensübergreifenden Datenaustausch, um gemeinschaftlich durch Zusammenarbeit Werte schöpfen zu können, die dem Betrieb allein verschlossen blieben. Auf Untdiese Weise lassen sich Know-how und Expertise teilen, um beispielsweise erfolgreich im Bereich Produktentwicklung oder Projektmanagement zu kooperieren.
Fünf Stufen zum Erfolg
Im produzierenden Gewerbe lässt sich die Digitalisierung anhand von fünf Stufen umsetzen, mit denen der jeweilige Betrieb behutsam, nach und nach, seinen Digitalisierungsgrad erhöhen kann.
- In einem ersten Schritt – der Datenerfassung und -verarbeitung – werden mittels Sensortechnik wichtige Zustandsdaten und Informationen rund um den Betrieb von Anlagen und Produktion gesammelt und analysiert. So können z. B. Vibrationen erkannt und frühzeitig entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.
- Auf Basis der gewonnenen Daten und ihrer Zuordnung zu Materialien oder Aufträgen können in einer zweiten Stufe Assistenzsysteme geschaffen werden. Beschäftigte werden in ihrer Arbeit mit digital verfügbaren Arbeitsanweisungen oder IT-Tools unterstützt.
- In der dritten Stufe – der Vernetzung – wird die digitale Durchdringung des Unternehmens vorangetrieben, indem Daten durchgängig von der Auftragserfassung bis zur Fertigung genutzt werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Austausch von Informationen zwischen verschiedenen Systemen möglich ist (Interoperabilität).
- Die vierte Stufe ist dadurch gekennzeichnet, dass mittels digitaler Technologien über das Internet neue serviceorientierte Geschäftsmodelle entwickelt werden. Über die Serviceorientierung kann zusätzliche Wertschöpfung generiert werden.
- In der fünften Stufe kann man von einer Smarten Fabrik sprechen, denn hier werden Prozesse intelligent gesteuert, auf Basis eines sich selbst-organisierenden Systems. In diesem kommunizieren alle Beteiligten miteinander also Sensoren, Maschinen, Anlagen und Menschen bis hin zu ganzen Wertschöpfungsnetzwerken, wenn die smarte Fabrik involviert ist. Das schafft Flexibilität in der Produktion und ermöglicht es, besser und schneller auf die Wünsche der Kundschaft einzugehen. Mit zunehmender Automatisierung und Autonomisierung bis hin zur smarten Fabrik steigen die verfügbaren Datenmengen und schaffen die Voraussetzung für einen vielfältigeren Erkenntnisgewinn, um Effizienzoptimierungen und Produktivitätssteigerungen zu erreichen.
Bestehende Unternehmen digitalisieren
Digitalisierung bedeutet Vernetzung und vernetztes Denken. Im Gegensatz zu jungen Unternehmen (Greenfield), die Strukturen und Geschäftsmodelle nach dem Stand der Technik aufbauen, müssen bestehende Unternehmen oder Produktionsstätten (Brownfield) gewachsene Strukturen aufbrechen, um die digitale Transformation erfolgreich zu meistern.
Schon mit einfachen Digitalisierungsmaßnahmen lassen sich sichtbare Erfolge und wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Bestehende Maschinen und Anlagen können mittels Retrofit nachgerüstet werden, um sie in IT-Umgebungen einzubinden. Inkompatible Netze und Systeme können über Gateways miteinander verbunden und so die Basis für den Datentransfer und eine -auswertung geschaffen werden. Software-Plattformen, die als Open Source (z. B. Eclipse BaSyx ) zur Verfügung gestellt werden, geben gerade kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit, eigene Industrie 4.0-Lösungen zu realisieren. Die Umstellung auf neue digitale Prozesse und Geschäftsmodelle ist für etablierte Unternehmen mit der besonderen Herausforderung verbunden, diese parallel zum Bestandssystem im laufenden Betrieb einführen zu müssen. Daher kann der Umstieg nur schrittweise erfolgen.
Bei der digitalen Einbindung von Gegenständen und der Kommunikation über verschiedene Ebenen helfen Verwaltungsschale und Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 (siehe nachfolgend „Standards und Sicherheit“)
- Standards und Sicherheit:
Smarte Fabriken kommunizieren und interagieren mit ihren Maschinen aber auch über Unternehmensgrenzen hinaus in Wertschöpfungsnetzwerken. Eine Voraussetzung dafür ist, dass Schnittstellen und Standards harmonisiert werden. Das Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 (RAMI 4.0 ) ermöglicht mit seiner einheitlichen Begriffs- und Methodenstruktur, dass alle Beteiligten entlang der Wertschöpfung Standards verorten können und mit einer gemeinsamen Sprache sprechen. Für die virtuelle Einbindung von realen Objekten sorgt die Verwaltungsschale, auch digitaler Zwilling genannt. Über die Verwaltungsschale können die Objekte unternehmens- und branchenübergreifend kommunizieren. Wenn alle Systeme miteinander vernetzt sind und über das Internet kommunizieren, steigen die Anforderungen an die IT- und Cyber-Sicherheit stark, um Daten und Informationen zu schützen. - Faktor Mensch:
Wichtig – und das darf bei allen Stufenmodellen und Innovationen nicht vergessen werden – ist immer noch der Faktor Mensch. Denn wesentliche Erfolgsfaktoren für eine digitale Transformation eines Unternehmens sind, dass die Beschäftigten aktiv in den Veränderungsprozess eingebunden und entsprechend geschult werden sowie eine dem Neuen aufgeschlossene Unternehmenskultur gelebt wird. Nur dann kann die Digitalisierung des Betriebs zum Erfolg führen – Schritt für Schritt. Je weiter die Digitalisierung voranschreitet, desto mehr verändern sich die Aufgaben des Menschen. Er wird von Routine- und schweren Arbeiten befreit und zunehmend zum Dirigierenden der Wertschöpfungskette.
In Anlehnung an „WGP-Standpunkt Industrie 4.0“, Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik WGP e. V. (Hsg.), 2016 und in Anlehnung an das Gespräch mit der TU Darmstadt, Institut für Produktionstechnik und Umformmaschinen, persönliche Kommunikation, 05. Dezember 2019
Nachhaltigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette
Ressourceneffizienz lässt sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines produzierenden Betriebs erreichen. Deshalb ist eine ganzheitliche Betrachtung des Themas wichtig und eröffnet am Ende vielfältige Einsparpotenziale. Die Grundlage dafür, diese Einsparpotenziale nutzen zu können, ist die exakte Erfassung, zielgerichtete Analyse und Auswertung von Daten – und auf dieser Basis die entsprechende Ableitung von Optimierungen entlang des gesamten Herstellungs- und Wertschöpfungsprozesses.
Ressourceneffizienz – von der Entwicklung bis zum End-of-Life
Für das produzierende Gewerbe stellt das Thema Material- und Rohstoffbeschaffung einen besonders wichtigen Faktor dar, da der Materialeinsatz teils 40 Prozent (Quelle: Studie: Ressourceneffizienz durch Industrie 4.0 – Potenziale für KMU des verarbeitenden Gewerbes, VDI Zentrum Ressourceneffizienz GmbH, 2017) der Gesamtkosten von Betrieben ausmachen kann. Und wo weniger Material zum Einsatz kommt, werden auch weniger Abfälle erzeugt, kleinere Lagerflächen bewirtschaftet und damit ein ökonomischer wie ökologischer Beitrag geleistet. Große Optimierungspotenziale sind deshalb im Bereich Produktentwicklung zu finden. Die Digitalisierung hilft, Produkte schon im Ansatz effizient und nachhaltig zu gestalten. Das fängt bei der Ermittlung an, wieviel Ressourceneinsatz im Laufe des Produkt-Lebenszyklus einschließlich Recycling überhaupt notwendig ist bzw. wie dieser Wert optimiert werden kann, und reicht bis zur virtuellen Produktentwicklung. Anstatt aufwendig Kleinserien zu produzieren, können Produkte viel schneller, günstiger und effizienter am Rechner entwickelt werden.
Effizienter Anlagenbetrieb und Vernetzung
Im Produktionsbetrieb bietet die Speicherung von Ressourcenverbrauchs- und Anlagendaten weiteres Optimierungspotenzial. So können auf dieser Grundlage bereits Ausfall-, Stillstands- und Wartungszeiten in den Produktionsprozess einkalkuliert und die Auslastung der Produktion optimiert werden. Durch die Vernetzung von Anlagen ist es möglich, die Produktionsinfrastruktur je nach Produkt und Bedarf zu nutzen. So lassen sich einzelne Module von Produktionsanlagen aktiv nutzen, aber auch pausieren oder abschalten. Darüber hinaus können moderne Assistenzsysteme zusätzlich helfen, Produktionszeiten zu verkürzen und die Präzision zu erhöhen, bevor die Waren „just-in-time“ bei der Kundschaft eintreffen.
Umweltschutz und mehr
Wo immer Digitalisierung zur Optimierung der Produktion eingesetzt wird, atmet auch die Umwelt auf, denn
- die Einsparung von Rohstoffen
- ein effizienter Produktionsbetrieb
- die Senkung des Energieverbrauchs
- die Reduktion von Abfällen
- die Bewirtschaftung geringerer Lagerflächen
tragen zu mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit bei. So leistet das Unternehmen durch Wirtschaft 4.0 und Ressourceneffizienz einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und verringert seinen Carbon-Footprint. Und der hat auch jenseits von Nachhaltigkeit und Kostenoptimierung einen enormen Mehrwert. So werden umweltfreundlich agierende Betriebe heute Wettbewerbsunternehmen mit geringerem nachhaltigen Bewusstsein immer öfter vorgezogen – im Übrigen auch von Bewerbenden. So gewinnen ressourceneffiziente Unternehmen am Ende gleich mehrfach.