Zirkuläres Bauen: Vielschichtig, innovativ und nachhaltig

„Beton ist der Champion beim Ausstoß von Kohlendioxid, aber noch ein Zwerg bei den Kreislaufströmen.“ Mit diesem Statement brachte Dr. Felix Kaup, Themenfeldleiter Industrial Technologies bei der Hessen Trade & Invest GmbH (HTAI) und Gastgeber der Veranstaltung „Zirkuläres und nachhaltiges Bauen“, gleich zu Beginn das Hauptproblem der Baubranche auf den Punkt: Global verursacht die Bauwirtschaft 38 % der CO2-Emissionen. Um die Branche zukunftsfähig aufzustellen, sind Methoden zur Reduzierung der CO2-Last und die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft unabdingbar. Wie das gelingen kann, zeigte am 18. Juni 2024 die vierte Veranstaltung in der Reihe „Wege zur Circular Economy in Hessen“ vom Technologieland Hessen in Wiesbaden.

Gemeinsam mit den Kooperationspartnern Bauindustrieverband Hessen-Thüringen e.V. und Umweltallianz Hessen diskutierten über 70 Teilnehmende mit Referenten und Referentinnen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über Herausforderungen sowie Lösungsansätze für eine kreislauforientierte und nachhaltige Ausrichtung der Bauwirtschaft im Hoch- und Tiefbau. Dabei wurden Projekte zum Baustoffrecycling, der Herstellung von mineralischen Recycling-Baustoffen und zum Einsatz Künstlicher Intelligenz für eine smarte Baulogistik vorgestellt. Im Fokus standen auch alternative Baumaterialien für Beton wie regional angebautes Holz und Strohballen zur Wärmedämmung. Passenderweise fand die Veranstaltung im neuen Domizil der HTAI in Wiesbaden statt. Das „Platinum“ ist ein Nullenergiehaus in Holzhybridbauweise, wie Dr.-Ing. Carsten Ott, Abteilungsleiter Technologie & Innovation bei der HTAI, in seiner Begrüßung hervorhob.

Für Dr. Christian Hey, Abteilungsleiter im Hessischen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat, wird das Thema Baustoff-Recycling immer wichtiger. Er prognostizierte: „Zirkuläres Bauen ist ein Geschäftsfeld der Zukunft, aber auch ein Gemeinschaftswerk vieler Akteure.“ Gerade die Baubranche bietet Chancen, riesige Stoffkreisläufe zu schließen. Bau- und Abbruchabfälle machen allein in Deutschland rund 53 % des Gesamtaufkommens von in Abfallbehandlungsanlagen behandelten Abfällen aus. Jährlich fallen in Deutschland mehr als 200 Millionen Tonnen mineralische Abfälle an.

Lisa Schäfer von der Umweltallianz Hessen betonte: „Die Bauwirtschaft in Hessen steht vor großen Herausforderungen.“ Denn einerseits belastet der Bau- und Investitionsstau die gesamte Branche, andererseits müssen die Anforderungen bei der Wiederverwendung von Baumaterialien und beim Klimaschutz umgesetzt werden. „Nur wenn die Bauunternehmen am Standort in Deutschland erhalten bleiben und wettbewerbsfähig wirtschaften können, kann nachhaltiges Bauen ein Innovationstreiber in Hessen und Vorbild weltweit werden“, so Schäfer. 

Impressionen der Veranstaltung am 18. Juni 2024

Was ist nachhaltiges Bauen?

Nachhaltiges Bauen beinhaltet Strategien zur Energieeinsparung, effiziente und CO2-arme Logistik, die Verwendung umweltverträglicher Materialien sowie die Berücksichtigung sozialer und ökonomischer Faktoren. Helena Fischer vom Bauindustrieverband Hessen-Thüringen e.V. in Kassel, beleuchtete die aktuelle Situation zum zirkulären und nachhaltigen Hoch- und Tiefbau in Hessen, und nutzte einen kritisch-humorvollen Vergleich aus der Tierwelt. „Die Nachhaltigkeit beim Bau bewegt sich mit der Geschwindigkeit eines Faultiers in Gefahr – mit 0,27 km/h. Wir wissen aktuell gar nicht, welche Ressourcen uns tatsächlich zur Verfügung stehen!“ Es fehlen aus ihrer Sicht transparente und zielorientierte Regularien, abgesehen von den fehlenden Fachkräften, die diese Transformation stemmen könnten.

Einen Schritt in die richtige Richtung deutete Dr. Frank BraunischHessisches Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat, an. Es komme bald eine neue Abfallende-Verordnung für bestimmte mineralische Ersatzbaustoffe (MEB). Diese soll im Einklang mit der Ersatzbaustoffverordnung dazu beitragen, MEB effektiver im Kreislauf zu führen und die Vermarktung dieser Materialien als hochwertige und qualitätsgesicherte Recycling-Produkte zu fördern. „Es geht dabei auch um eine Erhöhung der Akzeptanz von Recyclingbaustoffen“, so Braunisch.

Gerade die mangelnde Akzeptanz sei ein großes Problem, hoben Dirk Röth und Dirk Humburg von der BAUREKA Baustoff-Recycling GmbH in Kassel hervor. Sie forderten die Aufhebung der Stigmatisierung von aufbereiteten mineralischen Ersatzbaustoffen als Materialien zweiter Klasse. Es gebe noch eine große Ungleichbehandlung. „Man muss sehr viel bei der Güterüberwachung beachten im Wettbewerb mit Naturbausteinen aus dem Steinbruch. Wir wünschen uns eine einfache Anerkennung von MEB, denn aufbereiteter Bauschutt ist kein Abfall, sondern hochwertiger Baustoff“, betonte Dirk Röth.

Einen innovativen Weg zur Reduzierung der CO2-Belastung geht die Rinn Beton- und Naturstein GmbH & Co. KG aus Heuchelheim. „Zement ist super, aber er erzeugt 8 % der weltweiten CO2-Emissionen. Wir testen daher Zementersatzstoffe wie Asche, alkalisch aktivierte Bindemittel und neue Betonrezepturen“, erklärte Geschäftsführer Christian Rinn. Seit 2016 produziert sein Unternehmen Betonstein mit 40 % Recyclinggranulat. Genutzt werden auch alte Pflastersteine als Recyclingmaterial. Die neueste Innovation, der Klimastein, kommt mit 90 % weniger Zement aus und spart pro Quadratmeter bis zu 65 % CO2 ein.

Holz und Strohballen als Betonalternativen

Ganz auf Beton als Baumaterial verzichten dagegen Susanne Körner, Shakti Haus - Klimaschutzarchitekten, Bad König, und Kai Laumann von der Zimmerei- und Bedachungs GmbH in Wettenberg. Sie stellten Alternativmaterialien vor, die vor allem regional in großen Mengen vorhanden sind und als natürliche CO2-Speicher funktionieren.
Warum nicht mal ein Haus aus Strohballen bauen? Diese alte Konstruktionsidee hat Susanne Körner mit dem Shakti Haus wiederbelebt. „Strohballengedämmte Häuser haben einen sehr guten Dämmwert, helfen also Heizenergie zu sparen. Sie verbinden Klimaschutz und Nachhaltigkeit, denn der Baustoff kann regional direkt vom Feld geerntet werden“, sagte Körner. Die verpressten Kleinballen werden in einer Hilfskonstruktion aus Holzständern eingestapelt und dann komprimiert. In einem aktuellen Bauprojekt im Michelstadt werden derzeit 1.200 Strohballen für ein Bürogebäude verbaut.
Eine Lanze für den Holzbau brach Kai Laumann. „Holz speichert in großen Mengen Kohlendioxid und ist der älteste Baustoff der Welt“. Beim Massivholzbau setzt er auf die CLT-Technik. CLT steht für Cross Laminated Timber bzw. Brettsperrholz und ist massives Holzbausystem, das auch bei mehrgeschossigen Gebäudetypen wie Schulen oder Einkaufscenter eingesetzt werden kann. Die Holzplatten werden dabei kreuzweise verleimt. Der besondere Trick: „Die einzelnen Balken werden digital kartiert und können später weitergenutzt werden“, erläuterte Laumann. Damit dienen Holzhäuser als Rohstofflager und ermöglichen einen fast perfekten Kreislauf („Cradle-to-Cradle“).
Ein weiteres Prinzip des zirkulären Bauens betrifft die Verlängerung der Lebensdauer von Baumaterialien, in dem sie entweder weiterverwendet, wiederverwertet oder recycelt werden. Einen interessanten Ansatz präsentierten hierzu Prof. Christoph Kuhn und Max Eschenbach von der TU Darmstadt. Sie wollen Betonfertigteile aus alten Gebäuden digital kartografieren und eine Bestandsdatenbank für deren Wiederverwendung aufbauen. „Wir brauchen auch in Zukunft viel Beton für den Gebäudebau. Aber statt Abrissgebäude zu sprengen, sollten wir die tragenden Beton-Bauteile wieder in den Kreislauf bringen. Die Emissionen werden dadurch deutlich gesenkt“, beschrieb Prof. Kuhn. Die abgebauten Fertigteile müssen als tragende Teile vor erneuter Nutzung zunächst gründlich durchleuchtet und bei Bedarf mit Stahlprothesen versehen werden. Max Eschenbach erwähnte in diesem Zusammenhang den passenden Begriff „Betonkrankenhaus“.

Ohne Digitalisierung geht es nicht

Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) halten auch beim nachhaltigen Bau Einzug. Zwar steht vieles noch am Anfang, aber mittlerweile wurden cloudbasierte Software- und KI-Tools entwickelt, die Stoffströme beim Bau so gut wie möglich steuern und klimarelevant optimieren können. Die smarte Baulogistik hilft, Ressourcen zu schonen und unnötige LKW-Fahrten mit Bauschutt zu reduzieren. Daniel Imhäuser vom Entsorgungsunternehmen Blasius Schuster KG, Frankfurt am Main, brachte diese Problematik auf den Punkt: „Die Logistik im Baugewerbe ist ein CO2-Treiber. In Deutschland werden allein über 10 Millionen LKW-Ladungen mit Baumaterial, Erdaushub oder Bauschutt unterschiedlichster Qualität hin- und herbewegt. Je kürzer die Fahrstrecke dieser Transporte ist, desto besser für das Klima.“ Sein Unternehmen nutzt u.a. intelligente Tourenplanungs- und Tourensteuerungssysteme zur Senkung der Emissionen.

Eine effiziente Wiederverwendung von Materialien und die Einsparung von CO2 durch die Optimierung von Stoffströmen und Transportwegen ist auch das Ziel von Christian Landes, N1 Trading GmbH in Dossenheim. Der Softwarespezialist unterstützt mit modularen Softwarebausteinen bei der Planung von Bauprojekten. „Wir ermitteln mithilfe künstlicher Intelligenz aus laufenden oder ausgeschriebenen Bauprojekten Re- und Upcyclingpotenziale und haben gewissermaßen das Betriebssystem der Kreislaufwirtschaft entwickelt“, sagte Landes.

Ein entscheidender Aspekt beim zirkulären Bauen könnte der Gebäuderessourcenpass werden. Davon jedenfalls ist Jakob Weigele von Madaster Germany GmbH in Berlin überzeugt. Er stellte ein Kataster vor, das Daten über alle Materialien und Produkte registriert, die in einem Objekt, z. B. einer Brücke oder einem Gebäude, verbaut wurden. „Wir haben schon über 5.000 Gebäude registriert. Durch die Erfassung jedes einzelnen Bauteils erhält man Aufschluss über die Trennbarkeit, das gebundene CO2 und ob es wiederverwendet werden kann.“

Fazit der Tagung

Zirkuläres und nachhaltiges Bauen sowie der schnelle Aufbau einer Kreislaufwirtschaft sind elementare Bausteine, um die Abfallmengen und die CO2-Emissionen in der meist noch linearen Bauwirtschaft drastisch zu reduzieren. Vieles in der Branche steht noch am Anfang und erfolgt mit gebremster Geschwindigkeit. Um diese Transformation zu beschleunigen, forderten mehrere Referenten daher Anpassungen in Ausschreibungen etwa der öffentlichen Hand. Anforderungen wie das Prinzip „Cradle-to-Cradle“ oder eine nachhaltige Baulogistik müssten hier zukünftig stärker berücksichtigt werden.

Deutlich wurde aber auch: Es gibt viele gute und überzeugende Ansätze und Projekte, um die Bauwirtschaft auf ihrem Weg zur Circular Economy voranzubringen.

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